Dienstag, 24. Januar 2017

Zuckerhaltige Getränke machen unsere Kinder krank! - Ist eine Zuckersteuer die Lösung?


  Zuckerhaltige Getränke
machen unsere Kinder krank!
Ist eine Zuckersteuer die Lösung?
von Maria Kruschyna und Janina Kemmler

Frau Sommer ist Klassenlehrerin an einer kleinen Grundschule. In ihrer Freizeit macht sie gerne Sport und hält über Facebook Kontakt zu ihren Kommilitonen aus dem Studium. Als sie eines Abends erschöpft nach Hause kommt, macht sie sich eine Portion Spaghetti vom Vortag warm und holt sich eine Cola aus dem Kühlschrank. Sie muss noch Klassenarbeiten korrigieren, Koffein kann sie da jetzt gut gebrauchen. Bevor die Arbeit losgeht, will sie noch kurz abschalten und loggt sich am Handy in Facebook ein. Dort sieht sie, dass sie von einer Freundin auf einer Online-Petition verlinkt wurde:
„Zuckerhaltige Getränke machen unsere Kinder krank! Durch eine Zuckersteuer soll die Zuckerzugabe in Getränken verringert werden!“ wird dort gefordert. Im Anschluss wird sie dazu aufgefordert für eine Zuckersteuer zu unterschreiben.
Frau Sommer überlegt kurz. Klar, dass zu viel Zucker für Kinder ungesund ist. Das weiß heutzutage jeder. Es macht dick und führt zu Karies. Außerdem hat sie schon bei mehreren Kindern in ihrer Klasse beobachtet, dass diese nach einem zuckerhaltigen Essen unkonzentrierter arbeiten. Aber warum ist das eigentlich alles so? Frau Sommer fährt ihren Laptop hoch und startet die Recherche.

Welche Auswirkungen hat Zucker auf den Körper?

Dr. Kasper Berneis stellte in seiner Züricher Studie Getränke zusammen, die 40 oder 80 g Fructose, 40 oder 80 g Glucose oder 80 g Saccharose (Fructose + Glucose) enthielten. Glucose (C6H12O6) ist ein Einfachzucker. Häufig ist er unter dem Namen Traubezucker bekannt. Er schmeckt weniger süß als Fructose, welche ebenfalls ein Einfachzucker ist. Jedoch werden sie unterschiedlich im Körper verwertet.
29 gesunde und normalgewichtige junge Männer tranken diese drei Wochen lang, dreimal 200ml täglich von einem der Getränke. Nach einer vierwöchigen Pause begann die nächste Phase mit einem anderen Getränk. Insgesamt durchliefen die Probanden fünf Phasen mit den unterschiedlichen Getränken.
Die Ergebnisse waren überraschend. Der Nüchternblutzucker war bei allen um 4 -9 % erhöht. Die höchsten Werte wurden bei der Gruppe mit hohem Fructosekonsum erreicht.  Zudem stiegen der Bauchumfang und der Körperfettanteil bei allen. Bei der Fructose-Gruppe war dies noch mehr ausgeprägt als bei der Glucose-Gruppe. Der Effekt von Fructose auf den Stoffwechsel scheint schädlicher als der von Glucose zu sein. Obwohl beide Zucker gleich viele Kalorien liefern, werden sie unterschiedlich umgewandelt.  Glucose kann in Form von Glykogen gespeichert werden, Fructose wird zum Teil in Fett umgewandelt und begünstigt das Wachsen des Fettgewebes.
Die Zufuhr von Energie aus zuckerhaltigen Getränken wird schlechter kompensiert als die Zufuhr von Lebensmittel. Außerdem enthalten Softdrinks eine höhere Konzentration an Fructose als andere fructosehaltige Lebensmittel (Apfel: 5,7 g, eine Dose Cola: 17,5 g).


Die Züricher Studie zeigt, dass ein Konsum von gesüßten Getränken bereits nach drei Wochen den Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsel negativ beeinflussen. Obwohl die Probanden gesund und normalgewichtig waren und zwischen den Phasen der süßhaltigen Getränke vierwöchige Pausen lagen, addierte sich der schlechte Effekt der Süßgetränke über die Studiendauer.[1]

Was passiert mit der Glucose in unserem Körper?

Das Gehirn benötigt Glucose, um seine Aktivitäten auszuführen. Die Glucose wird aus dem Blutkreislauf entnommen. Sinkt der Glucosespiegel stark, steuert das Gehirn seinen Anteil aktiv durch zwei Mechanismen:
·         Direkte Entnahme von Glucose aus dem Blut
·         Begrenzung der Glucosemenge für den übrigen Körper
Kann das Gehirn dennoch nicht genug Glucose beziehen, werden seine Funktionen beeinträchtigt. Dies hat dann zum Beispiel Folgen auf die Aufmerksamkeit und das Gedächtnis. Das Gehirn reagiert also empfindlich auf ein kurzfristiges Absinken des Glucosespiegels. Aus diesem Grund ist es von Vorteil, den Spiegel konstant aufrechtzuerhalten – durch regelmäßige Mahlzeiten. Insbesondere das Frühstück verbesserte die geistige Leistungsfähigkeit bei Kindern und Jugendlichen (Studie von Hoyland, Dye und Lawton 2009). [2]
Aber auch ein zu hoher Blutzuckerspiegel kann sich auf unsere Leistungsfähigkeit auswirken: Wir werden gereizt und hyperaktiv. [3]
Durch den schnell verfügbaren Zucker in zuckerhaltigen Getränken steigt der Blutzuckerspiegel an, wodurch Insulin ausgeschüttet wird. Dadurch wird die Glucose aus dem Blut weitertransportiert – der Blutzuckerspiegel sinkt wieder. Bei ständig hohem Blutzuckerspiegel wird schließlich irgendwann der Zucker als Fett im Fettgewebe gespeichert – dies trägt zur Entstehung von Übergewicht bei. Genaueres dazu im Video:


Wie beeinflussen unterschiedliche Lebensmittel den Blutzuckerspiegel? Diese Grafik zeigt den Blutzuckerspiegel nach der Aufnahme verschiedener Lebensmittel. Nach einem zuckerhaltigen Getränk steigt der Spiegel enorm an und fällt dann stark ab. Nach dem Verzehr von Kidneybohnen bleibt er am längsten konstant.

Sinkt der Blutzuckerspiegel sehr schnell (nach dem Verzehr von zuckerhaltigen Getränken bereits nach 60 Minuten), verspüren wir auch schnell wieder Hunger, während wir nach den Kidneybohnen länger statt bleiben.

Frisst sich der Zucker in unsere Zähne? Oder wie entsteht eigentlich Karies?

Die Karies ist eine Erkrankung der Zähne, bei welcher der Zahnschmelz und das darunterliegende Zahnbein (Dentin) zerstört wird. Bereits das Vordringen der Karies in die Dentinschicht kann zu Zahnschmerzen führen. Hierbei dringt nicht – wie oft vermutet – der Zucker in die Zähne ein, sondern ernährt die Bakterien, welche ihn in Säure umwandeln. Wird der aus den Bakterien bestehende Belag nicht entfernt (Mundhygiene, Zahnstellung, u.a.), entkalken die Säuren den Zahnschmelz, sodass die Bakterien weiter Richtung Zahnhöhle vordringen können. [5]




                                                                                                                                                             [6]

Wie genau dieser Vorgang abläuft, erklärt hier ein Zahnarzt:



Welche Schwierigkeiten sehen Kinderärzte im Konsum zuckerhaltiger Getränke ihrer Patienten?

Ein Interview mit Dr. med. Thomas Kauth aus Ludwigsburg, Facharzt für Kinderheilkunde und Jugendmedizin, Sportmedizin mit Tätigkeitsschwerpunkt Ernährungsmedizin

Im folgenden Interview geht Dr. Kauth auf die Frage ein, ob die Anzahl der übergewichtigen Kinder und Jugendlichen in seiner Praxis in den letzten Jahren gestiegen ist und welche Rolle speziell zuckerhaltige Getränke dabei spielen. Außerdem erklärt er den Zusammenhang zwischen zuckerhaltigen Getränken und Diabetes Typ 2. Nachfolgend berichtet er über die Werbemechanismen der Verkaufsindustrie und die Schwierigkeiten, vor denen Eltern stehen. Zum Schluss zeigt er Möglichkeiten auf, wie er als Kinderarzt und wir als Lehrer dem übermäßigen Konsum zuckerhaltiger Getränke entgegenwirken können.
Ist eine Zuckersteuer sinnvoll?

Nachdem sie nun so viel zu den schädlichen Folgen von zuckerhaltigen Getränken erfahren hat, klickt sich Frau Sommer zurück zur Petition. Natürlich sollten Kinder lieber Wasser oder ungesüßten Tee trinken, keine Frage. Aber ist sie deswegen für eine Zuckersteuer? Das würde bedeuten, dass auch sie als Gelegenheits-Cola-Trinkerin mehr Geld bezahlen müsste. Frau Sommer startet eine Pro-Contra-Recherche.

Contra Zuckersteuer
Pro Zuckersteuer
Bewusster Umgang mit Zucker, statt die Menschen zu etwas zu zwingen

Auf Zucker muss man nicht verzichten, um einer Diabetes-Erkrankung vorzubeugen. Es sollte lediglich ein maßvoller Konsum von Zucker in das Bewusstsein der Menschen rücken.[7]
Es gibt sehr viele und individuelle Ursachen für Übergewicht. Der Lebensstil, Veranlagung, Stress oder Schlafmangel können weitere Gründe von Übergewicht darstellen. Wer etwas ändern möchte, muss neben der Ernährung auch Bewegung und Lebensstil verändern. Allein der Staat kann beim Abnehmen nicht helfen.[8]
Weniger Menschen würden an Übergewicht, Fettleibigkeit, Diabetes oder Karies leiden

Zucker spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Karies und führt bei zu hohem Konsum zu Fettleibigkeit. Durch die Zuckersteuer und damit höhere Kosten für die Verbraucher könnte der Konsum der zuckerhaltigen Getränke eingeschränkt werden.[9] Dies zeigt sich bereits in anderen Ländern:
In Mexiko, Frankreich, Finnland und Ungarn wurde schon eine Sondersteuer auf zuckerhaltige Getränke eingeführt. Die WHO gibt an, dass eine Sondersteuer von 20 % des Verkaufspreises den Konsum um 20 % reduziere.[10]

Erfahrungen in Deutschland beweisen die Nichtwirksamkeit einer Zuckersteuer

Bis 1993 gab es in Deutschland eine Zuckersteuer. Diese hatte keine Auswirkungen auf das Kaufverhalten der Kunden.
Zuckersteuer war damals nicht hoch genug

Die Zuckersteuer war damals so gering (weniger als einen Pfenning pro Liter), dass keine Veränderungen im Kaufverhalten entstehen konnten![11]


Genussmittel als Kulturgut

Zuckerhaltige Getränke sind ein Kulturgut in unserer Gesellschaft. Ob ein Cocktail auf einer Feier oder ein Orangensaft beim Frühstücksbuffet – sie gehören zu unserem Alltag dazu.
Wir brauchen keinen Zucker zum Überleben

Glucose wird von unserem Gehirn und anderen Organen benötigt. Jedoch kann dieses von unserem Körper selbst gebildet werden, indem wir zum Beispiel Kartoffeln oder andere Kohlenhydrate durch die Nahrung aufnehmen.[12]

Statt ungesunde Getränke zu besteuern, sollte man gesunde Lebensmittel günstiger verkaufen

Es bedarf nicht nur den Blick auf den Gehalt von Zucker in Getränken, sondern auch auf den Fettanteil in Lebensmittel. So müsste eine Steuer auf grundsätzlich „ungesunde“ Lebensmittel und Getränke erhoben werden. Auch auf Schadstoffe in Kleidung oder einen übertriebenen Medienkonsum müsste man eine Steuer erheben.
Um für alle eine gesunde Ernährung zu ermöglichen könnten gesunde Lebensmittel von ihrer Steuer befreit werden, damit sie günstiger verkauft werden können.

Die Zuckersteuer als Anreiz weniger Zucker in die Rezepturen zu mischen

Die Zuckersteuer sollte nicht dazu führen, dass die Verbraucher unter den höheren Kosten leiden. Stattdessen sollte sie für die Hersteller ein Anreiz sein, weniger Zucker in die Getränke zuzufügen. Somit müssten sie dann weniger Steuern auf gleichen Gewinn bezahlen.
Ampelsystem als Alternative

Statt eine Steuer auf zuckerhaltige Getränke und Lebensmittel zu erheben, besteht die Möglichkeit ein Ampelsystem bei Lebensmitteln einzusetzen. So werden Verbraucher schon beim Kauf schnell und einfach über den Inhalt der Nahrungsmittel informiert. Hierbei kennzeichnen die Farben grün, gelb und rot auf der Vorderseite der Verpackung den Zucker-, Salz- und Fettanteil. Dieses System ist im Vergleich zu den komplizierten Etiketten sogar für jüngere Kinder leicht verständlich.

Unübersichtliche Nährstoffangaben

Für Verbraucher sind die Mengen des Zuckers nicht transparent. Es gibt bis zu 80 verschiedene Namen, welche für die meisten Menschen auf den ersten Blick gar nicht als Zucker erkennbar sind. Darüber hinaus müssen die Angaben auf den Etiketten immer zunächst umgerechnet werden, um den exakten Wert zu bestimmen.


Wie kann Aufklärung in der Schule stattfinden? 

Ob es bald eine Zuckersteuer geben wird, sei nun dahingestellt. Frau Sommer will jetzt sofort etwas bewegen. Es geht schließlich um die Gesundheit ihrer Klasse und die liegt ihr natürlich am Herzen! Dass das Thema auch bei ihren SchülerInnen relevant ist, merkt sie jeden Tag in der Pause, wenn sie einen Blick auf die mitgebrachten Getränke der Kinder wirft.
 

Ergebnis der KIGGS-Studie 2013 (Kinder und Jugendliche von 0-17 Jahren in Deutschland)

Frau Sommer überlegt, wie sie das Thema in der nächsten Woche aufgreifen könnte, um die Kinder für zuckerhaltige Getränke zu sensibilisieren und deren Meinung dazu zu hören.

Etikett richtig lesen
Die Voraussetzung für die richtige Getränkewahl ist das Verstehen des Etiketts. In dieser Hinsicht sollten SchülerInnen darüber aufgeklärt werden wie Etiketten gelesen und interpretiert werden. Dazu können die mitgebrachten Getränke der SchülerInnen begutachtet und ausgewertet werden.
Zuckermenge bestimmen
Im Folgenden können die SchülerInnen die Zuckermenge ihres Getränkes ausrechnen. Zur besseren Veranschaulichung kann diese Angabe mit Haushaltszucker abgewogen und zum Vergleich in Tüten gefüllt werden. 


 [15]



Gute Alternative
Neben Leitungs- und Mineralwasser gibt es auch andere gesunde Möglichkeiten. Neben herkömmlichen Tee bieten Aufgussbeutel für kaltes Wasser eine gute Alternative für den Sommer. Möchten die Kinder zu Saft greifen, sind ein richtiges Maß und ein gutes Mischverhältnis zu beachten. Hierbei könnte Saftschorle im Unterricht selbst hergestellt werden.

Klassenübergreifend kann ein Trinkwasserspender das Trinkverhalten von SchülerInnen verbessern. Dies wurde bereits in einer Studie von Muckelbauer 2009 belegt.[17] Dabei können sich Kinder an einer ansprechenden Zapfstelle auf Knopfdruck gekühltes Wasser mit oder ohne Kohlensäure in ihre Flaschen füllen.

 [18]

Diskussion

Beim Thema Zuckersteuer gibt es sowohl Pro- als auch Contra-Argumente. Wie positioniert Ihr Euch in dieser Debatte? Seht Ihr eine Notwendigkeit darin, das Thema „Zuckerhaltige Getränke“ im Schulalltag zu behandeln, oder liegt die Verantwortung allein bei den Eltern? Inwiefern würdet Ihr das Thema in den Unterricht einbinden?
Auf eure Meinungen und Umsetzungsmöglichkeiten sind wir sehr neugierig!


[1] http://www.pharmazeutische-zeitung.de/?id=39014 (zuletzt geprüft am 22.01.2017)
[4] Schek, A. (2013): Ernährungslehre Kompakt. Sulzbach im Taunus: Umschau Zeitschriftenverlag. 5. Auflage
[8] http://www.presseportal.de/pm/52641/3116314 (zuletzt geprüft am 22.01.2017)
[17] Muckelbauer R u. a.: Promotion and Provision of Drinking Water in Schools for Overweight Prevention: Randomized Controlled Cluster. Trial („Trinkfit-Studie“), in: Pediatrics No. 123, Number 4, April 2009