Sonntag, 1. Mai 2016

„Bio-Zertifizierung“ – Ein Blog von Bernd Giersdorf



1. Einleitung
Wie nachhaltig ist es für das Individuum Bio-Lebensmittel zu essen? Lebe ich länger, wenn ich ausschließlich Bio zu mir nehme? Wenn nicht, was bringt es dann überhaupt Bio zu kaufen und zu konsumieren? Was ist mit Leuten, die sich schlicht und ergreifend kein Bio leisten können? Müssen die mit einem schlechten Gewissen leben, weil sie wissen, dass sie  ungesund essen und trinken? Sind Bio-Produkte einem elitären Kreis vorbehalten, der sich aus Gebildeten und Wohlhabenden zusammenstellt? Was bringt es, wenn ich als Grundschullehrer vor meiner Klasse stehe und erkläre, dass meine Schüler doch bitte nur Bio essen sollen, wenn ich weiß, dass ein Drittel der Kinder aus sozialbenachteiligten Verhältnissen stammt und es sich nicht leisten kann Bio zu kaufen? Wie mache ich einen „guten Unterricht zum Thema Nachhaltigkeit? Warum trifft man an jeder Autobahnraststätte auf Holzfällersteaks…, muss man, wenn man sich eh nicht bewegt hat beim Autofahren, ein 500g Steak essen um Kraft zu tanken? Ist das nachhaltig? Ist es positiv, wenn einem stolz erzählt wir, dass man gestern in einem Restaurant gewesen ist und dort zu Zweit für Vorspeise, Hauptgang, Dessert und den Wein dazu nur 24€ bezahlt hat? Warum heißt der Sonntagsbraten eigentlich Sonntagsbraten? Muss man sich da nicht fragen, ob das Schwein, das da verarbeitet auf meinem Teller lag jemals die Sonne gesehen hat und wie viele Tabletten Antibiotika es in sich hineinstopfen musste? Waren die Hühner glücklich, die sich nun in feinen Streifen auf meinem Salat wiederfinden? Oder sind sie Zeit ihres Lebens vornübergekippt, weil ihre Brust vom Mästen zu schwer geworden ist? Gutes Fleisch ist teuer! Mal überlegt etwas weniger davon zu essen? Ist der Wein nicht gemeingefährlich, wenn er so billig ist? Werde ich blind, wenn ich ein zweites Glas davon zu mir nehme? Wurden die Reben für diesen Wein gespritzt? Was passiert eigentlich mit dem Boden, wenn da ständig Fungizide und Pestizide reinsickern? Egal, Hauptsache billig! Ich werde im Folgenden nicht auf all diese Fragen Antworten formulieren, da dieses Thema Stoff für ein ganzes Buch liefern würde. Sie dienen lediglich einem Nachdenkeimpuls.

2. Bio-Lebensmittel: Wegweiser durch den Biodschungel
Was bedeutet eigentlich „Bio“? Wann dürfen Lebensmittelerzeuger ihre Produkte mit einem Biosiegel versehen? Wie kämpft man sich erfolgreich durch den Biodschungel zu einem „echten“ Bioprodukt?
Bio – Lebensmittel sind ökologische Produkte, die sich durch ihre ökologische Anbauweise sowie durch artgerechte Tierhaltung kennzeichnen. Von einem ökologischen Produkt wird prinzipiell dann gesprochen, wenn es gegenüber einem konventionellen Produkt den gleichen Gebrauchsnutzen aufweist, die Herstellung, Verwendung und Entsorgung jedoch eine geringere Umweltbelastung auslösen. Bei ökologischen Lebensmitteln im Vergleich zu konventionellen Produkten handelt es sich um eine relative Umweltfreundlichkeit, da im Grundsatz jedes Produkt Umweltbelastungen hervorruft. Die Produktion und der Transport verbrauchen Energie und Ressourcen. Besser gesagt handelt es sich bei der Herstellung ökologischer Produkte um eine umweltfreundlichere Variante (Faltins, 2010, S.21). Gemäß den Festlegungen der EG-Verordnung Nr.21/2092 über den ökologischen Landbau vom 21. Juni 1991 (…) und ihren ergänzenden Rechtsvorschriften bzw. den Richtlinien der diversen Anbauverbände (z.B. Bioland, Demeter) sind unter „Bio-Produkten/Lebensmittel alle diejenigen Lebensmittel zu verstehen die unter kontrollierten Anbaubedingungen produziert werden (Woesse et al. 1995, S.3).

2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen
In der gesamten Europäischen Union sind die Bezeichnungen „Bio“ oder „Öko“ gesetzlich geschützt. Diese gesetzlichen Vorgaben müssen erfüllt werden, um unter der Bezeichnung auf den Markt kommen zu können. Es geht nicht nur um die Erzeugung sondern um alles, was mit der Produktionskette zusammenhängt (Faltins, 2010). Für alle Betriebe dieser Produktionskette gelten stringente Vorschriften um einen Mindeststandard bei Bio-Lebensmitteln zu erreichen. Die Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates der biologischen/ökologischen Erzeugnisse bildet die Gesetzesgrundlage für alle Ebenen des Vertriebs, wie der Produktion, wie der Kontrolle und Kennzeichnung von Bio-Produkten. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird diese Verordnung auch EU-Öko-Verordnung oder kurz Öko-Verordnung genannt. Im Anwendungsbereich eingeschlossen sind folgende Produkte: lebende oder unverarbeitete Erzeugnisse, Aquakultur, Hefen, gesammelte Meeresalgen und Wildpflanzen, Futtermittel und Saat- und Pflanzgut. (Schirrmeister 2013, S. 4).
Die Durchführungsverordnung (EG) Nr. 889/2008 der Kommission vom 5. September 2008 ergänzt die EU-Öko-Verordnung. In ihr sind die Durchführungsvorschriften zur Öko-Verordnung des Rates über die ökologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen Erzeugnissen bezüglich der ökologischen Produktion, Kennzeichnung und Kontrolle geregelt. Allerdings gilt dies nicht in den Bereichen, in denen die EU-Öko-Verordnung anderes geregelt hat (Schirrmeister 2013, S. 4f.).
Weiter gelten für importierte biologische Produkte aus Drittländern die Regeln der Verordnung (EG) Nr. 1235/2008 der Kommission vom 8. Dezember 2008. Zudem wird der Öko-Landbau durch das Öko-Landbaugesetz vom 7. Dezember 2008 (BGBI. I S. 2358) komplettiert, welches den Nutzen der Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 hat. Zudem existieren keine verbindlichen Verbandrichtlinien, die über den im Gesetz geregelten Mindeststandard der EG-Öko-Verordnung hinausgehen und somit die Berechtigung für die Teilnehmer, das jeweilige Verbands-Logo zu nehmen (Finsterer, 2012).

2.2 Das Bio-Siegel/Zertifikat
Die Fülle an Bio-Siegeln für Lebensmittel ist in der Zwischenzeit von einer großen Unüberschaubarkeit geprägt. Zu dem staatlichen bzw. nationalen und dem europäischen bzw. supranationalen Bio-Logo gesellen sich inzwischen die Zertifizierungen der Anbauverbände. Sogar die bekannten Discounter haben mittlerweile ihre eigenen Bio-Siegel kreiert. Im Folgenden werden nicht alle Siegel benannt und erklärt. Das würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Es werden lediglich die in meinen Augen wichtigsten Trennlinien zwischen den Bio-Logos gezogen.
Wer das Deutsche Bio-Siegel bekommt regeln die Kriterien der EU-Rechtsvorschriften für den ökologischen Landbau (Schirrmeister 2013, S. 5). Es folgt nun eine Auflistungen der Bedingungen, die erfüllt werden müssen damit das Siegel tragen darf:


  • Ausschließlich die Erzeuger-, Verarbeitungs- und Importunternehmen, die sich an die gesetzlichen Vorgaben des EU-Rechts befolgen und regelmäßig kontrolliert werden, dürfen Lebensmittel mit dem „Bio“- oder „Öko“- Siegel verkaufen bzw. es überhaupt tragen. 
  • 95 % der Zutaten der Lebensmittel müssen aus ökologischer Landwirtschaft stammen. Unter einer strengen Regelung dürfen bis zu 5 % nicht-biologische Zutaten anteilig sein. 
  • Was die Lebensmittelkennzeichnung angeht, ist es so, dass die zuständige Kontrollstelle in Form eines Codes vermerkt sein muss. Diese Codenummern sehen folgendermaßen aus: DE-ÖKO-OOO, DE steht für Deutschland und 000 für die jeweilige Kontrollstelle (Schirrmeister 2013, S.5).

Im Jahre 2001 wurde auf nationaler Ebene ein eigenes Bio-Siegel vom Bundesministerium für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft auf Grundlage der EG-Öko-Verordnung eingeführt (Finsterer, 2012). 87 % der deutschen Bevölkerung ist das Bio-Siegel geläufig und somit für die Unternehmen als einheitliches Instrument zur Kennzeichnung von Bio-Produkten von hoher Bedeutung. Im Zeichendschungel der Öko-Wirtschaft schafft das Siegel Transparenz, Sicherheit und eine ernsthafte Orientierungshilfe(Schirrmeister 2013, S.6).
Abb.1: Deutsches Bio-Siegel

Das EU-Bio-Siegel ziert mittlerweile über 36 300 Produkte und steht für gute Bioqualität. Es garantiert, dass mindestens 95 Prozent der Zutaten bio sind. Basis ist die EG-Öko-Verordnung. Die Einhaltung der Standards wird jährlich kontrolliert. (Stiftung Warentest 2016)
Seit dem 1. Juli 2012 gilt für alle EU-Mitgliedstaaten ein einheitliches EU-Bio-Logo, welches auf den in Europa hergestellten Bio-Erzeugnissen verbindlich abgebildet sein muss. Es garantiert eben, dass es sich bei den Produkten um solche handelt, die nach der EU-Öko-Verordnung hergestellt worden sind. Das EU-Bio-Logo verdrängt das Deutsche Bio-Siegel nicht. Sie bestehen nebeneinander. Durch die deutschen Anbauverbände können sowohl das EU-Bio-Logo wie auch das Deutsche  Bio-Siegel durch privatwirtschaftliche Siegel/Logos/Zertifizierungen ergänzt werden (Schirrmeister 2013, S.6).

 
Abb.2: EU-Bio-Logo

2.3 Öko-Anbauverbände: strenger als das Gesetz
Bioprodukte gibt es nicht erst seit dem Inkrafttreten der EU-Bioverordnung. Schon im Jahre 1924 entwarf der Antroposoph Rudolf Steiner die „Geisteswissenschaftlichen Grundlagen der Landwirtschaft“. Er war der Meinung, dass sich Landwirtschaft im Einklang mit der Natur abspielen müsse. Ziele seien keine maximalen Erträge, sondern vielmehr müsse der Mensch stets mit Respekt vor der Natur handeln und eine rein materialistische Betrachtung sei unzureichend (Sabersky 2013, S.24). Vor den ersten gesetzlichen Regelungen für die Produktion von Bio-Erzeugnissen in Europa gab es die Öko-Anbauverbände. Die Landwirte gehen dabei ein Vertragsverhältnis mit einem bestimmten Verband ein und folgen somit der Verpflichtung nach den jeweiligen Verbandrichtlinien  zu arbeiten. Diese setzen wiederum verschiedenste Schwerpunkte. Beispielsweise sind Fleischprodukte oder Milchprodukte eine Möglichkeit der Schwerpunktsetzung. Das Besondere an den Anbauverbänden ist, dass die gesetzlichen Anforderungen der EU-Öko-Verordnung in der Regel deutlich übertroffen werden. Das Siegel des jeweiligen Anbauverbandes steht somit für eine gesteigerte Bio-Qualität. Die Kontrolle wird von den Verbänden in regelmäßigen Abständen durchgeführt ( Flemmer 2014, S.24).

Abb. 3: Bioland und Naturland

Die momentan höchste Bioqualität garantieren die Siegel der acht Bio-Anbauverbände: Biokreis, Bioland, Biopark, Demeter, Ecoland, Ecovin, Gäa, Naturland. Bioland bildet den Größten, Naturland ist der zweitgrößte Verband. Die Richtlinien der Verbände sind strenger als die des EU-Bio-Siegels: die Kooperationsbetriebe müssen komplett auf Bioproduktion umstellen und nicht nur teilweise wie nach EG-Öko-Verordnung. Sie erreichen somit eine Kreislaufwirtschaft. Ziel der  Verbände und der EU ist eine artgerechte Tierhaltung, aber in unterschiedlichem Maße: Bioland & Co. erlauben pro Hektar 280 Masthühner und 140 Legehennen, während die EG-Öko-Verordnung etwa doppelt so viele Tiere zulässt. Die Verbandsbauern Die Bauern der Verbände müssen das Tierfutter mindestens zur Hälfte selbst herstellen, konventionell hergestelltes Futter darf nur partiell eingesetzt werden. Bauern, die nach EU-Vorschrift arbeiten, dürfen mehr Futtermittel aus konventioneller Herstellung nutzen. Unterschiede bestehen auch bei der Ackerwirtschaft. Gülle und Geflügelmist aus konventioneller Haltung sind bei den Verbänden verboten, dafür in der EU-Bio-Produktion teilweise erlaubt. Die Verbände gestatten in ihren Lebensmitteln noch weniger Zusatzstoffe als die EU. Die Verwendung natürlicher Aromen ist nur für wenige Produkte zugelassen und der Einsatz von Gentechnik ist strengstens verboten (Stiftung Warentest 2016).

3. Das Modell der vier Dimensionen nachhaltiger Ernährung (allgemein)
In meiner Einleitung habe ich bereits die Frage gestellt, ob es für das Individuum gesünder ist, Bio-Lebensmittel zu konsumieren. Wenn nicht, was für Vorteile hat es dann, wenn ich Bio-Produkte kaufe? Kaufe ich ein Stück weit die Nachhaltigkeit ein, wenn ich Bio kaufe?
Das Modell der vier Dimensionen aus der Ernährungsökologie, welches sich aus den gesundheitlichen, ökologischen, sozialen und ökonomischen Dimensionen zusammensetzt, findet ebenfalls im Forschungsfeld der nachhaltigen Ernährung Anwendung. Das Modell hat den Vorteil, dass auf verschiedenen Systemebenen ein breiter Betrachtungshorizont ermöglicht wird (Hoffmann, Schneider, & Leitzmann, 2011; Koerber K., 2012). Das Modell unterscheidet sich dadurch von den klassischen internationalen und gesellschaftlichen Theorien, dass es eine vierte Dimension, die gesundheitliche Dimension, als eigenständige Dimension in die Betrachtung miteinbezogen hat (Schirrmeister 2013, S.15). Es betrachtet die gesamte Bandbreite der Agrar- und Ernährungswirtschaft von der Erzeugung bis zum Verbrauch (Hoffmann, Schneider, & Leitzmann, 2011). 

Abb. 4: Die vier Dimensionen nachhaltiger Ernährung

Die gesundheitliche Dimension nimmt die physischen und psychischen Befindlichkeiten des Individuums in den Blick. Die Qualität von Lebensmitteln und die Wirkungen auf den menschlichen Organismus werden betrachtet. Das Optimum dieser Dimension ist das Erreichen eines allgemeinen Wohlbefindens und die Ausschließung ernährungsbedingter Krankheiten sowie Mangelerscheinungen (z.B.: Vitaminmangel) (Hoffmann, Schneider, & Leitzmann, 2011).
Die ökologische Dimension betrachtet alle Bestandteile der Agrar- und Ernährungswirtschaft, die mit in Verbindung mit den natürlichen Lebensgrundlagen des Menschen in Verbindung stehen. Ein besonderes Augenmerk liegt in dieser Dimension auf den Umweltauswirkungen. Die oberste Maxime hierbei ist der Erhalt der natürlichen Umwelt und der Ressourcen für nachfolgende Generationen auf regionaler, nationaler und globaler Ebene (Hoffmann, Schneider, & Leitzmann, 2011; Koerber K., 2012).
Die ökonomische Dimension umfasst alle wirtschaftlichen Komponenten, wie Entwicklungen von Preisen durch Angebot und Nachfrage sowie die Kosten während des Produktionsprozesses. Kernaufgabe dieser Dimension ist die Befriedung der Bedürfnisse der Menschen im Bereich Ernährung, somit auch die optimale Verteilung knapper Produkte (Hoffmann, Schneider, & Leitzmann, 2011). Die ökonomische Dimension verlagert sich aufgrund der Globalisierung aus lokaler in die globale Ebene, auf der die Nahrungssicherheit gegeben sein muss (Koerber & Kretschmer, 2006).
Die soziale Dimension hat unterschiedliche Institutionen der Gesellschaft im Blick wie Politik und Wirtschaft. Sie schließt rechtliche, kulturelle, politische, ethische, rechtliche und insbesondere sozio-ökonomische Fragestellungen der Agrar- und Ernährungswirtschaft mit ein (Hoffmann, Schneider, & Leitzmann, 2011). Sie ist vor allem mit der ökonomischen Dimension verbunden (Koerber K., 2012).


4. Ist Bio für das Individuum gesünder?
Unter Punkt 3 habe ich das Modell der vier Dimensionen nachhaltiger Ernährung (kurz) beschrieben. Nun werde ich unter Einbezug dieses Modells auf den Konsum von Bio-Lebensmitteln eingehen und insbesondere die gesundheitliche Dimension genauer beleuchten. (Eine Betrachtung aller Dimensionen in Bezug auf Bio-Lebensmittel würde den Rahmen dieses Blogs erneut sprengen.)
In der deutschen Geschichte gab es nie zuvor so vielfältige Möglichkeiten sich gesund und nachhaltig zu ernähren. Sowohl die große Auswahl als auch die gute Qualität der Lebensmittel ermöglicht dies. Jedoch sind weiterhin in unserer Gesellschaft Krankheiten wie Diabetis mellitus, Stuhlverstopfung, Karies, Gallensteine, Übergewicht, Herz-Kreislauf-Probleme und auch Gicht stark vertreten (Koerber & Kretschmer, 2006). Viele Menschen kaufen nun Bio-Lebensmittel, weil sie annehmen, dass diese gesünder seien als Produkte aus konventionellem Anbau (Koerber & Kretschmer, 2006). Ist das wirklich so?
Viele durchgeführte Studien geben keinen klaren Hinweis darauf, dass Bio-Lebensmittel eine bessere ernährungsphysiologische Qualität aufweisen (Schirrmeister, 2012, S. 23). Bio-Obst und –Gemüse haben in der Tendenz einen erhöhten Anteil an bioaktiven Stoffen wie sekundäre Pflanzenstoffe. Ihnen wird eine gesundheitsfördernde und antioxidative Wirkung im Rahmen der Krebsprävention nachgesagt. Einen wissenschaftlichen Befund hierfür gibt es jedoch nicht. Auch der Vitamingehalt bei Bio-Lebensmitteln ist nicht höher mit Ausnahme der Ascorbinsäure (Vitamin C) in Bio-Obst und – Gemüse. In Kohl, Blattgemüse, Spinat und Kopfsalat wurden deutlich erhöhte Werte der Ascorbinsäure nachgewiesen. Ein erhöhter Gehalt von wertvollen Omega-3-Fettsäuren, der auf Grünfutterzugabe im ökologischen Landbau zurückzuführen ist, konnte bei tierischen Produkten gemessen werden (Schirrmeister, 2012, S.24). Die Stiftung Warentest führte eine Langzeitstudie von 85 Lebensmitteln durch, mit dem Ergebnis, dass keine bessere ernährungsphysiologische Qualität bei Bio-Lebensmitteln deutlich wurde. Die konventionell hergestellten Produkte erzielten die gleichen Ergebnisse wie die Bio- Erzeugnisse (Stiftung Warentest 2010). Der Konsum von Bio-Produkten bringt somit keinen nennenswerten ernährungsphysiologischen Vorteil gegenüber Produkten aus konventioneller Herstellung. Wenn man bedenkt, dass die Bevölkerung in Industrieländern ohnehin mehr als ausreichend mit Vitamin C versorgt ist, kann man auch hier nicht von einem relevanten ernährungsphysiologischen Vorteil sprechen (Schirrmeister, 2012, S.25). Einen kleinen Vorteil kann man lediglich im Bereich der tierischen Produkte mit ihren guten Werten der Omega-3-Fettsäuren vermerken.

4.1 Verbraucherwartungen an Bio-Produkte
Die Verbrauchererwartungen an die Qualität von Bio-Lebensmitteln sind sehr hoch und umfassend: Geschmackvoll, pestizidfrei, gesund, regional und zudem noch sozialverträglich sollten sie in den Augen der Verbraucher sein. Die Qualität eines Bio-Lebensmittels jedoch lässt sich nicht auf einzelne Merkmale oder Inhaltsstoffe reduzieren. Vielmehr gehören heute alle Aspekte der Nachhaltigkeitskriterien zum Qualitätsverständnis eines biologischen Lebensmittels. Die herkömmliche Ernährungswissenschaft beurteilt die Qualität von Lebensmitteln oft nur anhand von Gehalten einzelner Inhaltsstoffe oder eben anhand von Rückstandsgrenzen für unerwünschte Stoffe. Beide Herangehensweisen sind zur Beurteilung von biologischen Lebensmitteln nicht ausreichend. Aktuelle Metaanalysen (z.B. Metastudie aus Newcastle) zeigen, dass sich biologische Lebensmittel von konventionellen unterscheiden und geringfügig besser abschneiden. Eine abschließende Beurteilung aus wissenschaftlicher Sicht ist jedoch schwierig, da in der Regel zu viele Faktoren miteinbezogen werden. Eines ist jedoch sicher. Bio-Produkte enthalten deutlich weniger Spuren von Pestiziden (BÖLW 2016; Schirrmeister 2012, S.44). Bio-Bauern setzen eben keine chemisch-synthetischen Pestizide ein und somit sind die Produkte frei von Verunreinigungen mit Pflanzenschutzmitteln. Ganz deutlich wird dies im Gemüsebereich. 2015 ergab das Öko-Monitoring in Baden-Württemberg, dass Bio-Gemüse im Durchschnitt 320-fach weniger mit Pestiziden belastet war als herkömmliche Erzeugnisse (BÖLW 2016). „Weniger ist mehr“ lautet die Devise bezüglich der Zusatzstoffe im Bio-Bereich (Kreutzberger 2014, S.194). In Bio-Produkten werden lediglich sogenannte unverzichtbare Zusatzstoffe erlaubt. Das sind im aktuellen Bio-Recht 48 Stoffe. Laut EU-Öko-Verordnung ist es explizit verboten Trockenfrüchte zu schwefeln, Lebensmittel zu bestrahlen und in Wurstwaren Phosphate zuzugeben. In der konventionellen Lebensmittelproduktion in der EU sind es im Vergleich über 320 zugelassene Zusatzstoffe. Zudem kommt das Verpackungsthema, das auch ein Qualitätsmerkmal darstellt. Die EU-Öko-Verordnung stellt keine zusätzlichen Anforderungen an die Verpackungen von Bio-Erzeugnissen. Mittlerweile gibt es allerdings einige Bio-Verbände, die eigene Verpackungsvorschriften formuliert haben. Somit wird langsam auch diese Lücke geschlossen (BÖLW 2016).

4.2 Zielgruppen von Bio-Käufern
Wer genau kauft Bio-Produkte? Eingangs habe ich die Frage aufgeworfen, ob der Kauf und Verzehr von Bio-Lebensmitteln nur einem bestimmten elitären Kreis vorbehalten ist. An dieser Stelle werde ich kurz darauf eingehen.
Um diese Frage zu beantworten, ist vorab zu sagen, dass es in den letzten Jahren häufig versucht wurde den typischen Bio-Käufer zu charakterisieren. Man kam meist auf kein klares Ergebnis (vgl. Oppermann u.a. 2006, S. 104). Der Großteil der Untersuchungen wurde anhand soziodemographischer Merkmale durchgeführt mit den unterschiedlichsten Ergebnissen. Viele Ergebnisse widersprechen sich sogar. Nicht im Widerspruch steht jedoch das Bildungsniveau der Konsumenten, was darauf zurückzuführen ist, dass hier eine intensivere Auseinandersetzung mit gesunder Ernährung stattfindet (vgl. Spiller 2006, S.2; Rath 2008, S.11). Gründe für den Kauf bzw. Nichtkauf von Bio Lebensmitteln sind vielmehr auf die Motive, also Gründe für den Kauf und in den Barrieren, also gegen den Kauf von Bio-Lebensmitteln zu sehen. Hierzu zählt beispielsweise das Wissensdefizit. Denn wer nicht weiß, dass Bio-Produkte umweltfreundlicher hergestellt werden, der erkennt auch nicht den ökologischen Zusatznutzen (Faltins 2010, S. 69). Einige Studien kommen außerdem zu dem Ergebnis, dass der Bio-Konsum mit zunehmendem Einkommen steigt (u.a. Kropp 2004). Dies ist jedoch nicht unumstritten. So gibt es auch einige Untersuchungen, welche keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Bio-Kauf und Einkommen feststellen konnten (u.a. Enneking 2003).

4.3 Hauptsache billig: am Beispiel von Fleischverzehr der Deutschen
In meiner Einleitung bin ich bereits auf das Überangebot von Fleisch eingegangen (Stichwort Holzfällersteak). Ich möchte meinen Blog mit einer Rechnung des Öko-Instituts schließen als eine Art Ausblick nach dem Motto „Viele kleine Leute machen an vielen kleinen Orten viele kleine Schritte in die richtige Richtung“:
Gutes Essen hat seinen Preis: Bio-Produkte sind im Einzelhandel in der Regel teurer als herkömmlich erzeugte Lebensmittel. Doch wie verändern sich die Kosten für Lebensmittel, wenn mit einer Umstellung auf Bio auch die Ernährungsweise in Richtung des empfohlenen  Fleischkonsums verändert wird? Im Durchschnitt essen wir Deutschen zu viel Fleisch! An dieser Stelle stellt sich die Frage, ob eine Reduktion des Fleischkonsums die Mehrkosten, die durch den Kauf von Bio-Lebensmittel entstehen, auffängt. Das Öko-Institut führte eine interessante Studie durch. Es wurden auf der Basis von tatsächlichen Mahlzeiten die Kosten einer durchschnittlichen Ernährung der Deutschen, die sich durch einen hohen Fleisch- und Wurstkonsum auszeichnet, mit denen einer Ernährung, die auf den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, weniger Fleisch, mehr Obst und Gemüse, beruht, verglichen. Für beide Ernährungsstile wurden jeweils die Kosten auf der Basis von herkömmlich produzierten Lebensmitteln als auch auf der Basis von Bio-Lebensmitteln ermittelt. Wer viel Fleisch kauft und nur Bio-Lebensmittel konsumiert, zahlt rund ein Drittel mehr als für dieselbe Konstellation der Lebensmittel aus konventioneller Produktion. Allerdings wer weniger Fleisch und Wurst konsumiert, sich also gesünder ernährt, und dabei nur Bio-Lebensmittel kauft, zahlt ungefähr genauso viel für eine normale fleischlastige Ernährung. Die Mehrkosten liegen bei 22 Ct/Tag bzw. rund 80 €/Jahr und Person. Hier ist auch zu bedenken, dass die Erzeugung von Lebensmitteln Kosten verursacht,  die sich nicht in den Lebensmittelpreisen zeigen. Zu viel Fleisch auf dem Teller und eine nicht-nachhaltige Produktion von Lebensmitteln führen zu hohen Kosten, die größtenteils alles bezahlen müssen. In Deutschland fallen ca. 140€ pro Person und Jahr für Gesundheitskosten zur Behandlung von ernährungsbedingten Krankheiten sowie ca. 30 bis 100 €/Person und Jahr für außerhalb liegende Kosten als Konsequenz von nicht ökologischen landwirtschaftlichen Produktionsmethoden an. Es ist somit sehr notwendig, den erforderlichen gesellschaftlichen Wandel hin zu einem gemäßigten und nachhaltigen Fleischkonsum in Deutschland zu initiieren und zu unterstützen (BÖLW 2015).
Ich denke, dass es sich auch leichter Autofahren lässt, wenn man an der Tankstelle anstatt eines Holzfällersteaks aus Massenproduktion eventuell einen Apfel verzehrt. Noch besser, von heimischen Streuobstwiesen!



Literaturverzeichnis:

Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) (2016). Nachhaltigkeit und Qualität ökologischer Produkte – Bio-Qualität erfüllt hohe Verbrauchererwartungen. Zugriff am 30. April 2016 unter http://www.boelw.de/fileadmin/media/pdf/Themen/Branchenentwicklung/ZDF_2016/BOELW_ZDF_2016_OEko_Nachhaltigkeit_Qualitaet.pdf

Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) (2015). Ist gutes Essen wirklich teuer? Versteckte Kosten der Ernährung in Deutschland. In: Zahlen, Daten, Fakten: Die Bio-Branche 2015. Zugriff am 30. April 2016 unter http://www.boelw.de/uploads/media/BOELW_ZDF_2015_web.pdf

Enneking, U. (2003). Die Analyse von Lebensmittelpräferenzen mit Hilfe der Dicrete-Choice-Modelle am Beispiel ökologisch produzierter Wurstwaren. In Agrarwirtschaft, Jg.52, Nr.5, S. 254-267.

Faltins, R. (2010). Bio-Lebensmittel in Deutschland. Kaufbarrieren und Vermarktung. Hamburg: Diplomica Verlag

Finsterer, S. (2012). Biosiegel, Anspruch und Wirklichkeit. Berlin: Universitätsverlag TU Berlin

Flemmer, A. (2014). Bio-Lebensmittel. Warum sie wirklich gesünder sind. Hannover: humboldt Verlag

Hoffmann, I., Schneider, K., & Leitzmann, C. (2011). Ernährungsökologie. München: Oekom Verlag

Koerber, K., Männle, T., & Leitzmann, C. (2012). Vollwert-Ernährung. Konzeption einer zeitgemäßen und nachhaltigen Ernährung. Stuttgart: Haug Verlag

Koerber, K., & Kretschmer, J. (2006). Ernährung nach den vier Dimensionen. Ernährung und Medizin; 21 (178-185).

Kreutzberger, S. (2014). Die Ökolüge. Wie sie den grünen Etikettenschwindel durchschauen. Berlin: Ullstein

Kropp, C. (2004). Die Nachfrage nach Bio-Lebensmitteln in München und Leipzig. Sozialdemographische Hintergründe, Einkaufsstättenpräferenzen und Ernährungshaltungen. München: Arbeitspapier 2 des Verbundprojektes „Von der Agrarwende zur Konsumwende“

Oppermann, R. (2006). Marktentwicklungen und die Perspektiven für die Erzeuger auf den Märkten für ökologisch erzeugtes Schweinefleisch. In: Rahmann, Gerold, Ressortforschung für den ökologischen Landbau 2006. Sonderhefte der Landbauforschung Völkenrode 298, Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft (S. 101-110)

Rath, C. (2008). Erfolgsfaktoren bei Bio-Produkten. Handlungsempfehlungen für Unternehmen der Lebensmittelwirtschaft am Beispiel von Bio-Milch und Bio-Käse. Saarbrücken: Dr. Müller Verlag

Sabersky, A. (2013). Bio drauf Bio drin? Echte Qualität erkennen und Biofallen vermeiden. München: südwest Verlag

Schirrmeister, N. (2013). Bio-Lebensmittel als Beitrag für eine nachhaltige Ernährung? Norderstedt: GRIN Verlag

Spiller, A. (2006). Zielgruppen im Markt für Bio-Lebensmittel. Ein Forschungsüberblick. Göttingen: Georg-August-Universität Göttingen

Stiftung Warentest (2016). Das EU-Bio Siegel und die Siegel der acht Bio-Anbauverbände. Zugriff am 30 April 2016 unter https://www.test.de/Biolebensmittel-Masse-statt-Klasse-1532489-1532464/

Woesse, K., Lange, D., Boess, C. & Bögl, K. (1995). Ökologisch und konventionell erzeugt Lebensmittel im Vergleich. Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin. Bgvv Hefte