Mittwoch, 12. Dezember 2018

Stress und Stresswahrnehmung im Alltag



Stress und Stresswahrnehmung im Alltag
                                                     ein Beitrag von Jessica Blotenberg und Katharina Kolb


„Wish we could turn back time, to the good old days
when our momma sang us to sleep but now we’re stressed out“
(Twenty One Pilots)


Montagmorgen, 8 Uhr. Ja, selbst das Radio beschreibt schon mein Gefühl, wenn ich mich wieder einmal völlig übermüdet, mit einem Coffee to-go Becher in der Hand im Stau befinde. Ja, auch heute werde ich wieder kurz vor knapp in den Vorlesungsraum stürmen. 
„Ich bin gerade total gestresst!“, „Du stresst mich!“, oder „Stress lass nach!“ sind Redewendungen, die mittlerweile ein fester Bestandteil unseres Alltags geworden sind. 
Immer weiter, schneller und höher hinaus sind die Maßstäbe, nach denen wir urteilen. Unsere Ansprüche an uns selbst werden immer höher. Tagesabläufe sind minuziös getaktet, sodass wir möglichst viel erreichen. Mit spontanen Veränderungen haben wir zu kämpfen. Selten nehmen wir uns Minute zum Durchatmen. Wir haben das Bedürfnis immer auf dem neusten Stand zu sein, sind ständig erreichbar und stets vernetzt. Familie, Freizeit und Studium unter einen Hut zu bekommen, wird nicht selten zu einer organisatorischen Herausforderung. So geraten eigene Bedürfnisse schnell in den Hintergrund und man nimmt sich selten Zeit für den eigenen Körper. 
 
Im Gesundheitsbericht „Gesundheit Studierender in Deutschland“ (2017) wird erstmalig „ein repräsentatives Bild der Gesundheit und des Gesundheitsverhaltens Studierender sowie deren Wahrnehmung und Bewertung der Anforderungen und Ressourcen ihres Studiums an deutschen Hochschulen“ gezeichnet (ebd., S.7).
Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei Studierenden hauptsächlich um jüngere Personen aus sozial gefestigten Familien handelt wäre anzunehmen, dass deren gesundheitliche Verfassung besser als die von nicht studierenden Gleichaltrigen ist (vgl. ebd., S. 7). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie hingegen zeigen auf, dass weder die gesundheitliche Selbsteinschätzung, noch ein gesünderes Verhalten der Studierenden im Vergleich zu den nicht studierenden Altersgenossen vorliegt. 
Alarmierend ist die Tatsache, dass Studierende, vor allem Studentinnen, öfters über physische und psychische Beschwerden klagen (vgl. ebd., S. 9). Das Studium stellt für die jungen Erwachsenen eine neue Lebensphase dar. Diese birgt viele Herausforderungen, wie die Ablöse vom Elternhaus, berufliche Orientierung und Identitätsfindung. Das erfordert ein hohes Maß an Selbständigkeit (vgl., ebd., S. 48).  Hinzu kommt, dass durch die zeitlichen und geistigen Anforderungen der Studiengänge sowie der Prüfungsleistungen von einem erhöhten Leistungsdruck gesprochen wird.
Aufgrund dieser Anforderungen berichtet ein Viertel der befragten Studierenden (25,3%) von einem hohen Stresserleben (vgl. ebd., S. 48). Hierbei kann kein signifikanter Unterschied zwischen Universitäten und Fachhochschulen festgestellt werden. 
Jedoch erleben laut der Studie knapp 30% der weiblichen Studierenden „ein hohes Ausmaß an Stress“, während nur gut 20% der männlichen Studierenden von einem erhöhtes Stresserleben berichten (vgl. Abb. 1).

Abb. 1: Hohes Stresserleben, differenziert nach Geschlecht (in Anlehnung an ebd., S. 51)

Doch was genau versteht man eigentlich unter Stress bzw. Stresserleben?

Unter Stress werden allgemein alle Auswirkungen von Belastungen auf den lebenden Köper verstanden (vgl. Kaluza, 2015a, S. 4).  Allgemein lässt sich Stress über ein charakteristisches Reaktionsmuster, als Antwort auf eine erhöhte Beanspruchung, beschreiben (vgl. Zwahr, 2004, S. 486).
In der vorliegenden Studie wird Stress „als Zustand erhöhter Alarmbereitschaft beschrieben, welcher durch eine erhöhte Aufmerksamkeit und Leistungsbereitschaft gekennzeichnet ist“ („Gesundheit Studierender in Deutschland“, 2017, S. 48).
Anforderungen lösen ein inneres Ungleichgewicht aus, welches wir als Stress wahrnehmen. Kann dieses innere Ungleichgewicht längerfristig nicht behoben werden, ist von chronischem Stress die Rede. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefährdet Stress maßgeblich die Gesundheit (vgl. WHO, 2009).
In gesundheitswissenschaftlichen Diskursen erhält der Begriff je nach Disziplin unterschiedliche Schwerpunkte. „Der Begriff Stress markiert hier ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das sich – im weitesten Sinne - mit der Bedeutung sozioemotionaler Belastungserfahrungen für die körperliche und psychische Gesundheit befasst“ (Kaluza, 2015b, S. 15). So kann Stress mit nahezu allen Lebensbereichen assoziiert werden. 

Im Folgenden soll das Konzept Stress modellhaft dargestellt werden.


Stress- Ampel nach Kaluza
 
Die Stress- Ampel nach Kaluza (vgl. Abb. 2) ist eine Modellvorstellung, um die Dimensionen des Stressgeschehens zu verdeutlichen. 
Das Stressgeschehen wird hierbei in drei zentrale Aspekte differenziert: Der stressauslösende Reiz, der als belastend gedeutet wird, die körperliche und psychische Antwort darauf, sowie die persönliche Einstellung als Stressverstärker (vgl. Kaluza, 2015a, S. 7).



Abb. 2: Die Stress- Ampel nach Kaluza, 2015 (in Anlehnung an Kaluza, 2015a, S.7)

Unter dem Begriff Stressoren fallen Situationen, die einen Reiz auslösen. Diese stellen Anforderungen, deren Bewältigung von dem Individuum als subjektiv wichtig, jedoch unsicher eingeschätzt werden (vgl. ebd., S. 10). Demnach empfinden wir alle Anforderungsbedingungen unserer Umwelt als Stressoren, die eine Stressreaktion in uns auslösen.
Hierbei kann zwischen verschiedenen Arten von Stressoren differenziert werden. So werden Stressoren in physikalische Reize unserer Umwelt, wie Lärm oder Temperatur, mentale Stressoren, ausgelöst durch Leistungsanforderungen und soziale Stressoren, die durch zwischenmenschliche Anforderungen entstehen, unterschieden.  Jedoch zieht nicht jede Anforderung eine Stressreaktion mit sich. Scheint die Herausforderung bereits im Vorhinein für das Individuum bewältigbar, muss es nicht zu einer Stressreaktion kommen. Demnach entsteht Stress erst dann, wenn sich Unstimmigkeiten zwischen den Anforderungen der Situation und den eigenen Bedürfnissen ergeben (vgl. ebd., S. 9). 

Je größer die Differenz zwischen Anforderung und persönlicher Leistungsfähigkeit ist, desto ausgeprägter das Stresserleben. Maßgeblich ist hierbei die subjektive Einschätzung beider Größen (vgl. ebd., S. 9).
Als Stressreaktion werden „zusammenfassend alle Prozesse, die aufseiten der betroffenen Person als Antwort auf einen Stressor in Gang gesetzt werden, also all das, was in uns und mit uns geschieht, wenn wir mit einem Stressor konfrontiert werden“ (ebd., S.10). 
Eine grundsätzliche Unterscheidung wird zwischen körperlichen und kognitiv- emotionalen Reaktionen vorgenommen. Körperliche Reaktionen auf Stress werden durch verschiedene Veränderungen der Energiemobilisierung im Körper, wie zum Beispiel erhöhte Muskelspannung, schnellerer Herzschlag und Atmung, deutlich. 
Alle Reaktionen, die von außen zu beobachten sind werden als „offenes Verhalten“ beschrieben. Hierzu zählen typische Verhaltensweisen, wie eine erhöhte Konfliktbereitschaft in der Interaktion mit Menschen, Ungeduld und motorische Unruhe. Nicht beobachtbare Stressreaktionen werden als „verdecktes Verhalten“ bezeichnet und finden auf der kognitiv- emotionalen Ebene statt. Dabei handelt es sich um inner-psychische Vorgänge, wie Gedanken oder Gefühle. Durch Stressreaktionen kommt es zu emotionalen und sozialen Veränderungen des Verhaltens (vgl. ebd., S. 10 ff.).
Da einzelne Stressoren jedoch nicht zwangsläufig die gleiche Stressreaktion bei jedem Menschen auslösen, müssen die persönlichen Stressverstärker beachtet werden. Diese stellen den individuellen Anteil der Person im Stressgeschehen dar. So lässt es sich erklären, dass unterschiedliche Personen auf die gleiche Situation verschieden reagieren.  Dies lässt sich durch die persönlichen Stressverstärker erklären, die den individuellen Hintergrund und die subjektive Bewertung der Situation und Anforderung liefern (vgl. ebd., S. 12 ff.). „Persönliche Stressverstärker beruhen auf individuellen Motiven, Einstellungen und Bewertungen, die wesentlich dazu beitragen, dass Stressreaktionen ausgelöst und/ oder verstärkt werden“ (ebd., S. 12). 


Stressbewältigung

Die Bewältigung von Stress umfasst „alle Anstrengungen, sowohl verhaltensorientierte wie intrapsychische, mit externen oder internen Anforderungen […], die die Mittel einer Person beanspruchen oder übersteigen, fertig zu werden, d.h. sie zu meistern, zu tolerieren, zu mildern, zu vermeiden“ (Kaluza, 2015b, S. 62). 
So wird nicht nur die aktive Bewältigung der Situation, sondern auch Verhaltensweisen, wie das Aushalten oder Vermeiden, unter Stressbewältigung verstanden. Im Vordergrund steht dabei nicht nur die erfolgreiche Meisterung einer Situation, sondern auch das reine Bemühen und die Anstrengungen sich den Anforderungen der Stresssituation zu stellen. Ist von Stressbewältigung die Rede so können zwei grundlegende Ansätze unterschieden werden: der verhaltensorientierte und der strukturorientierte Ansatz
Während bei dem verhaltensorientierten Ansatz die individuellen Möglichkeiten der Bewältigung im Zentrum stehen, fokussiert der strukturorientierte Ansatz die Veränderungen von überindividuellen Belastungsstrukturen. Hierbei handelt es sich um Faktoren, welche unabhängig vom Individuum wirken (vgl. ebd., S. 62). 

In der Praxis können beide Ansätze meist nicht trennscharf betrachtet werden. Verändert eine Person ihr individuelles Verhalten, so kann dies auch strukturelle Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen der Alltagsgestaltung haben. Im Gegenzug führen strukturelle Änderungen auch häufig zu Veränderungen des individuellen Verhaltens (vgl. ebd.). 

Im Folgenden wir ein verhaltensorientierter Ansatz zur Belastungsbewältigung dargestellt und erläutert.


Drei Hauptwege der individuellen Belastungsbewältigung 



Abb. 3: Individuelles Stressmanagement nach Kaluza (in Anlehnung an  Kaluza, 2015b, S.63)


 
Abbildung 3 zeigt, in Anlehnung an die Stressampel (siehe Abbildung 2), drei Aspekte des individuellen Stressmanagements. Hierbei wird jeder der drei Aspekte von Stress mit einer Stressmanagementstrategie verknüpft. 

Instrumentellen Stressmanagements hat zum Ziel, die Stressoren möglichst stark zu minimieren oder diese komplett zu vermeiden.  Um dies in die Praxis umsetzen zu können, wird neben einer sozial-kommunikativen Kompetenz auch Selbstmanagement und Sachkompetenz benötigt. Dieser Weg zielt auf ein selbstgesteuertes und zielorientiertes Handeln ab, welches sich zum Beispiel in der Umstrukturierung der persönlichen Zeitplanung und Prioritätensetzung widerspiegelt (vgl. ebd., S.63f.).

Das Mentale Stressmanagement setzt bei der Regulierung der persönlichen Stressverstärker an. Wesentlich sind hierbei die persönliche Einstellung, Motive und individuelle Denkstrukturen. Die Bewältigungsbemühungen können sich „sowohl auf aktuelle Bewertungen in konkreten Belastungssituationen, als auch auf situationsübergreifende, habituelle Bewertungsmuster beziehen“ (ebd., S.64). Der Fokus der Bewältigung liegt auf einer unvoreingenommenen Herangehensweise an neue Situationen, um diese kritisch zu reflektieren zu können. Hieraus resultieren Erfahrungen, die für zukünftige Situationen förderlich genutzt werden können. Dabei spielt die individuelle Bewertung einer Situation und der Einfluss der Umwelt, wie zum Beispiel Normen und Werte, eine ausschlaggebende Rolle (vgl. ebd. S. 63f.).  

Unter dem Ansatz des Regenerativen Stressmanagements wir die Kontrolle der physischen und psychischen Stressreaktionen verstanden. Mit Stresssituationen werden negative Stressemotionen, wie Angst, assoziiert. Daraus resultieren körperliche Veränderungen. Regeneratives Stressmanagement versucht negative Emotionen in den Hintergrund zu drängen, während positives Erleben, wie Stolz oder Selbstsicherheit, fokussiert werden. Kurzfristige Methoden der Entspannung, wie zum Beispiel die Einnahme von Medikamenten, verharmlosen die akute Stressreaktion. Dem hingegen steht eine längerfristige Erholung, die durch regelmäßige Entspannung auf eine Regeneration abzielt. Grundsätzlich sind Reaktionen situativ variabel und können je nach Funktion und Intension eingesetzt werden (vgl. ebd. S. 64f.). 




Fragen und Anregungen zum Weiterdenken


„Ein erhöhtes Stresserleben ist mit einer geringeren Zufriedenheit des Studiums assoziiert.“                
(Gesundheit Studierender in Deutschland, 2017, S. 48)

Inwieweit bildet die Stressampel nach Kaluza dein eigenes Stresserleben ab und wie kann durch diese Bewusstwerdung eine Veränderung initiiert werden?

Welche Tipps könntest du anderen Studierenden geben, das eigene Stressempfinden zu minimieren? 
  • Kennt ihr Methoden der Stressbewältigung? 
  • Habt ihr eigene Methoden?
  • Hierzu verweisen wir auch auf den Beitrag über Yoga (März 2018).


In Anlehnung an die Studie "Gesundheit Studierender in Deutschland" (2017): 
  • Das Studium an Hochschulen in Deutschland bringt das Erleben von Stress mit sich. Wie könnten Hochschulen das Stresserleben ihrer Studierenden verringern?



Lisa ist Studentin an der PH Ludwigsburg. Sie studiert nun schon einige Semester hier und hat selten Zeit durchzuatmen. 
  • Was könnte die PH konkret ändern, um in Lisa weniger Stress auszulösen oder gegen das Stressempfinden vorzugehen?
  • Ist dies überhaupt Aufgabe der Hochschule?






Literaturverzeichnis

Grützmacher, J.; Gusy, B.; Lesender, T.; Sudheimer, S.; Willige, J. (2018). Gesundheit Studierender in Deutschland 2017. Ein Kooperationsprojekt zwischen dem Deutschen Zentrum für Hochschul-und Wissenschaftsforschung, der freien Universität Berlin und der Technikerkrankenkasse. 
URL: https://www.sozialwahl.de/fileadmin/user_upload/Gesundheit-Studierender-in-Deutschland-2017-Studienband.pdf 
[zuletzt eingesehen am 05.11.2018].

Kaluza, G. (2015a). Gelassen und sicher im Stress. Das Stresskompetenz-Buch: Stress erkennen, verstehen, bewältigen. Springer-Verlag. Heidelberg. 

Kaluza, G. (2015b). Stressbewältigung. Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Springer-Verlag. Heidelberg. 




Weltgesundheitsorganisation (2010). Der Europäische Gesundheitsbericht 2009. Gesundheit und Gesundheitssysteme. WHO Regional Office for Europe. Kopenhagen.
URL: www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0018/82413/E93103g.pdf [zuletzt eingesehen am 15.11.2018].

Zwahr, A. (2004). Der Brock Haus in drei Bänden. Band 3. F.A. Brockhaus GmbH. Leipzig.