Stress und Stresswahrnehmung im Alltag
ein Beitrag von Jessica Blotenberg und Katharina Kolb
ein Beitrag von Jessica Blotenberg und Katharina Kolb
„Wish we could turn back time, to the good old days
when our momma sang us to sleep but now we’re stressed out“
when our momma sang us to sleep but now we’re stressed out“
(Twenty One Pilots)
Montagmorgen, 8
Uhr. Ja, selbst das Radio beschreibt schon mein Gefühl, wenn ich mich wieder
einmal völlig übermüdet, mit einem Coffee to-go Becher in der Hand im Stau
befinde. Ja, auch heute werde ich wieder kurz vor knapp in den Vorlesungsraum
stürmen.
„Ich bin gerade total
gestresst!“, „Du stresst mich!“, oder „Stress lass nach!“ sind Redewendungen,
die mittlerweile ein fester Bestandteil unseres Alltags geworden sind.
Immer
weiter, schneller und höher hinaus sind die Maßstäbe, nach denen wir urteilen.
Unsere Ansprüche an uns selbst werden immer höher. Tagesabläufe sind minuziös
getaktet, sodass wir möglichst viel erreichen. Mit spontanen Veränderungen
haben wir zu kämpfen. Selten nehmen wir uns Minute zum Durchatmen. Wir haben
das Bedürfnis immer auf dem neusten Stand zu sein, sind ständig erreichbar und
stets vernetzt. Familie, Freizeit und Studium unter einen Hut zu bekommen, wird
nicht selten zu einer organisatorischen Herausforderung. So geraten eigene
Bedürfnisse schnell in den Hintergrund und man nimmt sich selten Zeit für den
eigenen Körper.
Im
Gesundheitsbericht „Gesundheit Studierender in Deutschland“ (2017) wird
erstmalig „ein repräsentatives Bild der Gesundheit und des
Gesundheitsverhaltens Studierender sowie deren Wahrnehmung und Bewertung der
Anforderungen und Ressourcen ihres Studiums an deutschen Hochschulen“ gezeichnet
(ebd., S.7).
Aufgrund der
Tatsache, dass es sich bei Studierenden hauptsächlich um jüngere Personen aus
sozial gefestigten Familien handelt wäre anzunehmen, dass deren gesundheitliche
Verfassung besser als die von nicht studierenden Gleichaltrigen ist (vgl. ebd.,
S. 7). Die Ergebnisse der vorliegenden Studie hingegen zeigen auf, dass weder
die gesundheitliche Selbsteinschätzung, noch ein gesünderes Verhalten der
Studierenden im Vergleich zu den nicht studierenden Altersgenossen vorliegt.
Alarmierend ist die Tatsache, dass Studierende, vor allem Studentinnen, öfters
über physische und psychische Beschwerden klagen (vgl. ebd., S. 9). Das Studium
stellt für die jungen Erwachsenen eine neue Lebensphase dar. Diese birgt viele
Herausforderungen, wie die Ablöse vom Elternhaus, berufliche Orientierung und
Identitätsfindung. Das erfordert ein hohes Maß an Selbständigkeit (vgl., ebd., S.
48). Hinzu kommt, dass durch die
zeitlichen und geistigen Anforderungen der Studiengänge sowie der
Prüfungsleistungen von einem erhöhten Leistungsdruck gesprochen wird.
Aufgrund dieser
Anforderungen berichtet ein Viertel der befragten Studierenden (25,3%) von
einem hohen Stresserleben (vgl. ebd., S. 48). Hierbei kann kein signifikanter
Unterschied zwischen Universitäten und Fachhochschulen festgestellt werden.
Jedoch erleben laut der Studie knapp 30% der weiblichen Studierenden „ein hohes
Ausmaß an Stress“, während nur gut 20% der männlichen Studierenden von einem
erhöhtes Stresserleben berichten (vgl. Abb. 1).
Abb. 1: Hohes
Stresserleben, differenziert nach Geschlecht (in Anlehnung an ebd., S. 51)
|
Doch was genau versteht man eigentlich unter Stress bzw. Stresserleben?
Unter Stress
werden allgemein alle Auswirkungen von Belastungen auf den lebenden Köper
verstanden (vgl. Kaluza, 2015a, S. 4). Allgemein lässt sich Stress über ein charakteristisches Reaktionsmuster, als Antwort auf
eine erhöhte Beanspruchung, beschreiben (vgl. Zwahr, 2004, S. 486).
In der
vorliegenden Studie wird Stress „als Zustand erhöhter Alarmbereitschaft
beschrieben, welcher durch eine erhöhte Aufmerksamkeit und
Leistungsbereitschaft gekennzeichnet ist“ („Gesundheit Studierender in
Deutschland“, 2017, S. 48).
Anforderungen
lösen ein inneres Ungleichgewicht aus, welches wir als Stress wahrnehmen. Kann
dieses innere Ungleichgewicht längerfristig nicht behoben werden, ist von
chronischem Stress die Rede. Laut der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gefährdet
Stress maßgeblich die Gesundheit (vgl. WHO, 2009).
In
gesundheitswissenschaftlichen Diskursen erhält der Begriff je nach Disziplin
unterschiedliche Schwerpunkte. „Der Begriff Stress markiert hier ein
interdisziplinäres Forschungsfeld, das sich – im weitesten Sinne - mit der
Bedeutung sozioemotionaler Belastungserfahrungen für die körperliche und
psychische Gesundheit befasst“ (Kaluza, 2015b, S. 15). So kann Stress mit
nahezu allen Lebensbereichen assoziiert werden.
Im Folgenden
soll das Konzept Stress modellhaft dargestellt werden.
Stress- Ampel nach Kaluza
Die Stress- Ampel nach Kaluza (vgl. Abb.
2) ist eine Modellvorstellung, um die Dimensionen des Stressgeschehens zu
verdeutlichen.
Das Stressgeschehen wird hierbei in drei zentrale Aspekte
differenziert: Der stressauslösende Reiz, der als
belastend gedeutet wird, die körperliche
und psychische Antwort darauf, sowie die persönliche Einstellung als Stressverstärker (vgl. Kaluza, 2015a,
S. 7).
Hierbei kann
zwischen verschiedenen Arten von Stressoren differenziert werden. So werden
Stressoren in physikalische Reize
unserer Umwelt, wie Lärm oder Temperatur, mentale
Stressoren, ausgelöst durch Leistungsanforderungen und soziale Stressoren, die durch zwischenmenschliche Anforderungen
entstehen, unterschieden. Jedoch zieht
nicht jede Anforderung eine Stressreaktion mit sich. Scheint die
Herausforderung bereits im Vorhinein für das Individuum bewältigbar, muss es
nicht zu einer Stressreaktion kommen. Demnach entsteht Stress erst dann, wenn
sich Unstimmigkeiten zwischen den Anforderungen der Situation und den eigenen
Bedürfnissen ergeben (vgl. ebd., S. 9).
Je größer die Differenz zwischen Anforderung
und persönlicher Leistungsfähigkeit ist, desto ausgeprägter das Stresserleben. Maßgeblich
ist hierbei die subjektive Einschätzung beider Größen (vgl. ebd., S. 9).
Als Stressreaktion werden „zusammenfassend
alle Prozesse, die aufseiten der betroffenen Person als Antwort auf einen
Stressor in Gang gesetzt werden, also all das, was in uns und mit uns
geschieht, wenn wir mit einem Stressor konfrontiert werden“ (ebd., S.10).
Eine
grundsätzliche Unterscheidung wird zwischen körperlichen
und kognitiv- emotionalen Reaktionen
vorgenommen. Körperliche Reaktionen auf Stress werden durch verschiedene
Veränderungen der Energiemobilisierung im Körper, wie zum Beispiel erhöhte
Muskelspannung, schnellerer Herzschlag und Atmung, deutlich.
Alle Reaktionen,
die von außen zu beobachten sind werden als „offenes Verhalten“ beschrieben.
Hierzu zählen typische Verhaltensweisen, wie eine erhöhte Konfliktbereitschaft
in der Interaktion mit Menschen, Ungeduld und motorische Unruhe. Nicht
beobachtbare Stressreaktionen werden als „verdecktes Verhalten“ bezeichnet und
finden auf der kognitiv- emotionalen Ebene statt. Dabei handelt es sich um
inner-psychische Vorgänge, wie Gedanken oder Gefühle. Durch Stressreaktionen
kommt es zu emotionalen und sozialen Veränderungen des Verhaltens (vgl. ebd.,
S. 10 ff.).
Da einzelne
Stressoren jedoch nicht zwangsläufig die gleiche Stressreaktion bei jedem
Menschen auslösen, müssen die persönlichen
Stressverstärker beachtet werden. Diese stellen den individuellen Anteil
der Person im Stressgeschehen dar. So lässt es sich erklären, dass
unterschiedliche Personen auf die gleiche Situation verschieden reagieren. Dies lässt sich durch die persönlichen
Stressverstärker erklären, die den individuellen Hintergrund und die subjektive
Bewertung der Situation und Anforderung liefern (vgl. ebd., S. 12 ff.).
„Persönliche Stressverstärker beruhen auf individuellen Motiven, Einstellungen
und Bewertungen, die wesentlich dazu beitragen, dass Stressreaktionen ausgelöst
und/ oder verstärkt werden“ (ebd., S. 12).
Stressbewältigung
Die Bewältigung
von Stress umfasst „alle Anstrengungen, sowohl verhaltensorientierte wie
intrapsychische, mit externen oder internen Anforderungen […], die die Mittel
einer Person beanspruchen oder übersteigen, fertig zu werden, d.h. sie zu
meistern, zu tolerieren, zu mildern, zu vermeiden“ (Kaluza, 2015b, S. 62).
So
wird nicht nur die aktive Bewältigung der Situation, sondern auch
Verhaltensweisen, wie das Aushalten oder Vermeiden, unter Stressbewältigung
verstanden. Im Vordergrund steht dabei nicht nur die erfolgreiche Meisterung
einer Situation, sondern auch das reine Bemühen und die Anstrengungen sich den
Anforderungen der Stresssituation zu stellen. Ist von Stressbewältigung die
Rede so können zwei grundlegende Ansätze unterschieden werden: der verhaltensorientierte und der strukturorientierte Ansatz.
Während bei
dem verhaltensorientierten Ansatz die individuellen Möglichkeiten der
Bewältigung im Zentrum stehen, fokussiert der strukturorientierte Ansatz die
Veränderungen von überindividuellen Belastungsstrukturen. Hierbei handelt es sich
um Faktoren, welche unabhängig vom Individuum wirken (vgl. ebd., S. 62).
In der Praxis
können beide Ansätze meist nicht trennscharf betrachtet werden. Verändert eine
Person ihr individuelles Verhalten, so kann dies auch strukturelle Auswirkungen
auf die Rahmenbedingungen der Alltagsgestaltung haben. Im Gegenzug führen
strukturelle Änderungen auch häufig zu Veränderungen des individuellen
Verhaltens (vgl. ebd.).
Im Folgenden wir
ein verhaltensorientierter Ansatz zur Belastungsbewältigung dargestellt und
erläutert.
Drei
Hauptwege der individuellen Belastungsbewältigung
Abbildung 3
zeigt, in Anlehnung an die Stressampel (siehe
Abbildung 2), drei Aspekte des individuellen Stressmanagements. Hierbei
wird jeder der drei Aspekte von Stress mit einer Stressmanagementstrategie
verknüpft.
Instrumentellen Stressmanagements hat
zum Ziel, die Stressoren möglichst stark zu minimieren oder diese komplett zu
vermeiden. Um dies in die Praxis
umsetzen zu können, wird neben einer sozial-kommunikativen Kompetenz auch
Selbstmanagement und Sachkompetenz benötigt. Dieser Weg zielt auf ein selbstgesteuertes
und zielorientiertes Handeln ab, welches sich zum Beispiel in der Umstrukturierung
der persönlichen Zeitplanung und Prioritätensetzung widerspiegelt (vgl. ebd.,
S.63f.).
Das Mentale Stressmanagement setzt bei der Regulierung
der persönlichen Stressverstärker an. Wesentlich sind hierbei die persönliche
Einstellung, Motive und individuelle Denkstrukturen. Die Bewältigungsbemühungen
können sich „sowohl auf aktuelle Bewertungen in konkreten
Belastungssituationen, als auch auf situationsübergreifende, habituelle
Bewertungsmuster beziehen“ (ebd., S.64). Der Fokus der Bewältigung liegt auf
einer unvoreingenommenen Herangehensweise an neue Situationen, um diese
kritisch zu reflektieren zu können. Hieraus resultieren Erfahrungen, die für
zukünftige Situationen förderlich genutzt werden können. Dabei spielt die
individuelle Bewertung einer Situation und der Einfluss der Umwelt, wie zum
Beispiel Normen und Werte, eine ausschlaggebende Rolle (vgl. ebd. S. 63f.).
Unter dem Ansatz
des Regenerativen Stressmanagements
wir die Kontrolle der physischen und psychischen Stressreaktionen verstanden.
Mit Stresssituationen werden negative Stressemotionen, wie Angst, assoziiert.
Daraus resultieren körperliche Veränderungen. Regeneratives Stressmanagement
versucht negative Emotionen in den Hintergrund zu drängen, während positives
Erleben, wie Stolz oder Selbstsicherheit, fokussiert werden. Kurzfristige
Methoden der Entspannung, wie zum Beispiel die Einnahme von Medikamenten,
verharmlosen die akute Stressreaktion. Dem hingegen steht eine längerfristige
Erholung, die durch regelmäßige Entspannung auf eine Regeneration abzielt.
Grundsätzlich sind Reaktionen situativ variabel und können je nach Funktion und
Intension eingesetzt werden (vgl. ebd. S. 64f.).
Fragen und
Anregungen zum Weiterdenken
„Ein erhöhtes Stresserleben ist mit einer geringeren Zufriedenheit des Studiums assoziiert.“
(Gesundheit Studierender in
Deutschland, 2017, S. 48)
Inwieweit bildet die Stressampel nach Kaluza dein eigenes Stresserleben ab und wie kann durch diese Bewusstwerdung eine Veränderung initiiert werden?
Welche Tipps könntest du anderen Studierenden geben, das eigene Stressempfinden zu minimieren?
Inwieweit bildet die Stressampel nach Kaluza dein eigenes Stresserleben ab und wie kann durch diese Bewusstwerdung eine Veränderung initiiert werden?
Welche Tipps könntest du anderen Studierenden geben, das eigene Stressempfinden zu minimieren?
- Kennt ihr Methoden der Stressbewältigung?
- Habt ihr eigene Methoden?
- Hierzu verweisen wir auch auf den Beitrag über Yoga (März 2018).
- Das Studium an Hochschulen in Deutschland bringt das Erleben von Stress mit sich. Wie könnten Hochschulen das Stresserleben ihrer Studierenden verringern?
Lisa ist Studentin an der PH Ludwigsburg. Sie studiert nun schon einige Semester hier und hat selten Zeit durchzuatmen.
- Was könnte die PH konkret ändern, um in Lisa weniger Stress auszulösen oder gegen das Stressempfinden vorzugehen?
- Ist dies überhaupt Aufgabe der Hochschule?
Literaturverzeichnis
Grützmacher, J.; Gusy, B.; Lesender, T.; Sudheimer, S.; Willige, J. (2018). Gesundheit Studierender in Deutschland 2017. Ein Kooperationsprojekt zwischen dem Deutschen Zentrum für Hochschul-und Wissenschaftsforschung, der freien Universität Berlin und der Technikerkrankenkasse.
URL: https://www.sozialwahl.de/fileadmin/user_upload/Gesundheit-Studierender-in-Deutschland-2017-Studienband.pdf
[zuletzt eingesehen am 05.11.2018].
Kaluza, G. (2015a). Gelassen und sicher im Stress. Das Stresskompetenz-Buch: Stress erkennen, verstehen, bewältigen. Springer-Verlag. Heidelberg.
Kaluza, G. (2015b). Stressbewältigung.
Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung. Springer-Verlag.
Heidelberg.
Weltgesundheitsorganisation (2010). Der Europäische
Gesundheitsbericht 2009. Gesundheit und Gesundheitssysteme. WHO Regional Office
for Europe. Kopenhagen.
URL: www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0018/82413/E93103g.pdf
[zuletzt eingesehen am 15.11.2018].
Zwahr, A. (2004). Der Brock Haus in drei Bänden. Band 3. F.A. Brockhaus GmbH. Leipzig.