Mittwoch, 17. Juli 2019

Führt das Tragen schwerer Schulranzen zu einer Überlastung der kindlichen Wirbelsäule?

Ein Beitrag von Alexandra Ellinger


Abb.1: Eine Erstklässlerin mit 
ihrem Schulranzen [eigenes Foto]

Im September ist es wieder soweit und es tauschen wieder vielzählige Erstklässler und Erstklässlerinnen ihren Kindergartenrucksack in einen Schulranzen ein. Die Auswahl des „richtigen“ Schulranzens stellt viele Eltern und Kinder aufgrund der vielzähligen Modelle vor eine große Herausforderung. Kinder achten hierbei besonders auf das Aussehen. Für die Eltern der Schulanfänger und Schulanfängerinnen ist vor allem die Sicherheit ein wichtiges Auswahlkriterium. Außerdem sorgen sich viele Eltern um die Gesundheit der kindlichen Wirbelsäule und befürchten, dass ein zu schwerer Schulranzen zu einer Überlastung der Wirbelsäule führt [1, 2, 3]. Kinder und Jugendliche beklagen sich zunehmend über Rückenschmerzen und auch Haltungsschwächen nehmen zu [3]. Sind die Sorgen der Eltern gerechtfertigt und schaden schwere Schulranzen wirklich der kindlichen Wirbelsäule?          


Wie schwer darf ein Schulranzen sein?                 

Das Deutsche Institut für Normungen empfahl bis vor wenigen Jahren in ihrer DIN- Norm 58124 ein Schulranzengewicht von höchstens zehn bis fünfzehn Prozent des Körpergewichts des Kindes. Ein Kind mit 20 kg Körpergewicht sollte dieser Empfehlung nach also ein maximales  Schulranzengewicht von 2,5 kg tragen. Diese Empfehlung richtete sich jedoch ursprünglich an die Rekruten vor dem ersten Weltkrieg für das Tragen ihrer Tornister bei Langstreckenmärschen über viele Kilometer [3, 4]. Der Direktor der Orthopädischen Klinik am Uniklinikum Aachen Dr. Fritz-Uwe Niethard bewertet die Anwendung des Richtwertes auf Schulranzen und Schulkinder als sehr unrealistisch. Schulkinder haben einen viel kürzeren Schulweg zu Fuß zurückzulegen und viele Kinder werden von ihren Eltern in die Schule gefahren. Außerdem konnte bisher die Behauptung, dass ein zu schwerer Ranzen den Kinderrücken schadet, nicht belegt werden [3, 4].
Vermutlich wurde aus diesem Grund auch der Wert in der Neufassung 2010 gestrichen. Oliver Ludwig, wissenschaftlicher Leiter der Aktion „Kidcheck“ an der Universität Saarbrücken weist darauf hin, dass die alte 10% Regelung für manche Kinder sogar gefährlich wäre, da für Kinder, die eine schwache Bauch-und Rückenmuskulatur besitzen, auch schon 10% des Körpergewichts zu schwer sein könnte. Eine geeignete Norm für das Schulranzengewicht zu erstellen, gestaltet sich als problematisch, da zum einen Daten von Längsschnittuntersuchungen fehlen um abzuschätzen, ab welchem Gewicht der Ranzen gesundheitsschädlich ist. Außerdem ist die Belastbarkeit von Kind zu Kind je nach motorischen Status unterschiedlich. Daher ist es wichtig,die kindliche Muskulatur zu kräftigen und die Koordinations- und Gleichgewichtsfähigkeit der Kinder auszubilden. Besser wäre es also, auf die Orientierung an einer Norm zu verzichten und stattdessen das Kind nach seinem Befinden zu befragen, denn Normen können eine falsche Sicherheit vortäuschen [3].



Führt ein zu schwerer Schulranzen zu Wirbelsäulenveränderungen?

Ob das Tragen von zu schweren Schulranzen tatsächlich zu Wirbelsäulenveränderungen und Haltungsschäden führt, darüber ist man sich in der Wissenschaft bislang noch uneinig. Die bisherigen Studien kommen auf kein einheitliches Ergebnis. Eine der aktuellsten Studien aus dem Jahr 2008 ist die „Kidcheck- Studie“ der Universität Saarbrücken. Im Rahmen dieser Studie nahmen 60 Grundschüler teil. Hier wurde zu Beginn von jedem Kind jeweils mit und ohne Schulranzen eine Haltungsanalyse durchgeführt. Anschließend bewältigten die Kinder mit ihrem Schulranzen einen fünfzehn minütigen Parcour mit Hindernissen, der einen anspruchsvollen Schulweg simulierte. Nach dem Prarcour wurde die Haltungsanalyse wiederholt. Die Studie belegte, dass auch ein deutlich höheres Gewicht wie siebzehn Prozent Schulranzengewicht im Verhältnis zum Körpergewicht des Kindes zu keinen Haltungsveränderungen führte [3]. Außerdem konnte festgestellt werden, dass erst durch ein Ranzengewicht von einem Drittel des Körpergewichts eine signifikante Aktivität der Muskulatur des Bauches und Rückens messbar wurde. Diese Last führte zu einer Veränderung der Wirbelsäulenposition und zu einer instabilen Ruhehaltung. Das Gewicht führte jedoch auch zu einer Anspannung der Muskeln, die den Körper stabilisieren und somit die Wirbelsäule entlasten [5].  


Ludwig betont, dass eine gesunde Kinderwirbelsäule von einem schweren Schulranzen nicht geschädigt werden könne, da das Ranzengewicht viel zu kurz auf den Rücken einwirkt. Eine Belastung bedeute nicht gleichzeitig eine Überlastung. Bewegungsarme Kinder könnten sogar von einem kurzfristig getragenen schweren Ranzen profitieren. Hierdurch wird die Rumpfmuskulatur der Kinder trainiert, die die Wirbelsäule stabilisiert [4, 5, 6]. Wichtig sei jedoch, das Gewicht auf beide Seiten des Rückens gleichmäßig zu verteilen. Hierfür sollten Kinder und Jugendlichen lieber Ranzen und Schulrucksäcke nutzen, als Taschen. Dies betrifft nicht nur Grundschulkinder, sondern auch Jugendliche, denn ihr Bewegungsapparat ist in der Zeit des intensiven Wachstums besonders empfindlich gegenüber Fehlbelastungen. Durch das einseitige Tragen der Last mit einer Tasche wird die Wirbelsäule seitlich gekrümmt und die Schulterachse neigt sich zur Seite [2]. Außerdem sollte für einen gesunden Rücken auf ausreichend Bewegung geachtet werden, wozu auch schon der tägliche Schulweg zählt [4].


Veränderte Haltung und Bewegung beim Tragen von Lasten


Abb.2: Ausgangsbasis Lotlinie [3]


Die Ausgangsbasis ohne Schulranzen bildet beim aufrechten Stehen die sogenannte Lotlinie. Bei einer seitlichen Betrachtung liegt  hierbei der Knöchel des Fußes, die Hüfte, die Schulter und das Ohr auf einer Linie [3, 6]. 



Abb.3: Veränderte Körperhaltung mit Schulranzen [3]



Wird der Rücken mit einem hohen Gewicht belastet, wird der Körperschwerpunkt etwas nach hinten verlagert und somit verändert sich auch die Haltung der Kinder. Dabei kommt es zu einer Verlagerung des Schultergürtels nach vorn und eine Anhebung des Kopfes. Ludwig betont, dass es sich hierbei um eine völlig normale Reaktion auf den veränderten Körperschwerpunkt handle und kein Anzeichen einer Überbelastung sei [3, 6].




So sitzt der Schulranzen richtig






Wichtig ist vor allem, wie Kinder und Jugendliche ihre Schulranzen tragen. Der Ranzen sitzt richtig, wenn er dicht am Körper anliegt und er mit der Schulterhöhe abschließt. Beim Packen des Ranzens sollte darauf geachtet werden, dass schwerere Gewichte wie Bücher dicht am Rücken getragen werden. Außerdem sollte wirklich nur das mitgenommen werden, was wirklich in der Schule benötigt wird. Eventuell können Bücher und Hefte auch in einem Spind oder unter der Schulbank gelagert werden [2].



Abb.4: Der richtige Sitz des Schulranzens [7]






Trolleys als geeignete Alternative?




Abb. 5: Ein Beispielmodell eines Trolleys [8]
 





Immer häufiger sieht man auch Ranzen, die man auf Rollen hinter sich nachziehen kann (Trolleys). Diese sind für die Entlastung des Rückens zwar sehr geschickt, jedoch hat man häufig auch auf den Weg ins Schulgebäude Treppen zu überwinden. Hierfür muss man die Ranzen dann wieder tragen. Außerdem führen sie wie das Tragen von Taschen zu einer asymmetrischen Körperbelastung, die langfristig den Rücken schädigt. Auf die Verwendung der Trolleys sollte daher besser verzichtet werden [4].


Worauf sollte man beim Schulranzenkauf achten?


Der Markt bietet eine große Auswahl an Schulranzen und Schulrucksäcken, was die Auswahl des „richtigen“ Ranzens erschwert. Auf folgende Aspekte sollte beim Kauf eines Schulranzens geachtet werden:

  • Das zukünftige Schulkind sollte beim Kauf unbedingt mit dabei sein und den Ranzen mindestens einmal Probe getragen haben, denn der Schulranzen muss dem Kind passen.
  • Bei der Auswahl  sollte auf eine rückengerechte Passform des Ranzens geachtet werden. Da auch schon ein leerer Schulranzen ein Eigengewicht mit sich bringt, sollte das Leergewicht des Ranzens 1,5 kg nicht überschreiten.
  • Die Schulterträger sollten mind. 4 cm breit und aus einem rutschfestem Material bestehen sowie leicht verstellbar sein, um den Ranzen auf den Körper des Kindes richtig einstellen zu können.
  • Der Ranzen sollte dicht am Körper anliegen.
  • Die Aufteilung der Fächer sollte das Tragen von Schweren Gegenständen in Rückennähe ermöglichen.
  • Die Oberkante des Schulranzens sollte mit der Schulter abschließen.
  • Sichtbare Reflexstreifen und hellleuchtende Flächen sorgen für mehr Sicherheit im Straßenverkehr [2, 9].




Fazit

Die Wissenschaft ist sich bislang noch uneinig, welche Auswirkung das Tragen von zu schweren Schulranzen auf die Wirbelsäule hat. In diesem Beitrag wurde eine der aktuellsten Studien hierzu vorgestellt. Die Ergebnisse der Studie belegen, dass das Tragen von Schulranzen auch mit einem deutlich höheren Gewicht als die bisher empfohlenen 10% Körpergewicht zu keinen Haltungsveränderungen führt, trotz eines anstrengenden Schulwegs. Ein positiver Nebeneffekt hierbei ist das Trainieren der Bauch- und Rückenmuskulatur. Jedoch sollte beim täglichen Packen des Ranzens darauf geachtet werden, nur das einzupacken, was in der Schule auch tatsächlich benötigt wird. Schwere Gegenstände sollten möglichst am Körper getragen werden. Eine bedeutendere Rolle als das Gewicht des Schulranzens spielt der richtige Sitz des Ranzens. Außerdem ist bei der Auswahl des Schulranzens darauf zu achten, dass die Schulterträger breit genug sind und ausreichend helle und reflektierende Flächen am Ranzen angebracht sind. Für einen gesunden Rücken der Kinder und Jugendlichen ist vor allem viel Bewegung wichtig. Hierdurch wird ihre Bauch- und Rückenmuskulatur gestärkt und das Tragen von schweren Schulranzen fällt ihnen leichter.

Diskussion

  • Welche Erfahrungen habt ihr in eurer Schulzeit mit dem Tragen von Schulranzen, Rucksäcken oder Taschen gemacht? Hattet ihr die Möglichkeit, eure Materialien in der Schule zu lassen?
  • Haltet ihr es für notwendig Eltern, Kinder und Jugendliche für dieses Thema zu sensibilisieren? 



Literaturverzeichnis

[1] Wohlfarth, A. (2018): Lot- und Profiländerung der Wirbelsäule durch das Tragen eines Schulranzens bei 11- bis 14-jährigen Kindern. Tübingen.
[2] Dordel, S. u.a. (2007): Schulranzen- TÜV- eine Studie zum Trageverhalten und Gewicht der Schulranzen von Grundschulkindern. Haltung und Bewegung, 27 (3) S. 5-18.
[3] Ludwig, O. / Ruffing, J. (2009): Einfluss des Schulranzengewichtes auf haltungs- und gleichgewichtsrelevante Parameter bei Grundschülern im Stehen. Haltung und Bewegung, 29 (4) S.5-17.