Montag, 21. Oktober 2019

Ernährungsbasierte Gesundheitsförderung im Kindesalter

"Du bist, was du isst."
Ernährung ist Teil der Alltagskultur und stellt einen bedeutenden Faktor für die geistige bzw. körperliche Entwicklung eines Kindes dar. Mit einer zunehmenden Anzahl an Kindern, die ihre Mahlzeit in einer Kita einnehmen, verlagert sich die Verantwortung für die kindliche Ernährungsbildung. Dieser Beitrag stellt sich die Frage, inwiefern eine Kita ernährungsbasierte Entwicklungsaufgaben eines Kindes beantworten, eine gesunde Ernährungsbildung gewährleisten und häusliche Ernährungspraxen ablösen kann?

Um in eine kontroverse Diskussion gehen zu können, werden zunächst die kindlichen Bedürfnisse und allgmeine Prinzipien einer gesunden kindlichen Ernährungskultur, wie sie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt, dargelegt. Darauffolgend wird das Programm Fit Kid beispielhaft als ein Ernährungskonzept für Tageseinrichtungen vorgestellt und ein Fazit zur Beantwortung der Frage gefasst.


Kindliche Ernährungsprinzipen laut DGE (Deutsch Gesellschaft für Ernährung)

Die DGE beschreibt das Heranführen der Heranwachsenden an eine gesunde Esskultur von Klein an als das langfristige und fundamentale Ziel der Ernährungsbildung. Ernährung hat primär etwas damit zu tun,  körpereigene Bedürfnisse wahrnehmen, verstehen und befriedigen zu können. Sensibilität für den eigenen Körper bewahrt den Menschen laut DGE präventiv vor Fehl- und Mangelernährungen. Dabei beschränkt sich eine gesunde Ernährung jedoch nicht lediglich auf die Ausgewogenheit der Nahrungsmittelaufnahme, sondern sie beginnt mit einer gesunden Haltung zu Nahrungsmitteln und impliziert die Gestaltung der Essatmosphäre. Im Folgenden wird zunächst der Aspekt der Nährstoffaufnahme und daraufhin der der Tischkultur behandelt.


1. Essen und Trinken: Was und wie viel davon?

Das Basiswissen für eine ausgewogene Nahrungsmittelaufnahme sowohl für Erwachsene als auch für Kinder wird anhand der "10 Regeln für eine vollwertige Ernährung" und der "Lebensmittelpyramide" veranschaulicht.

Die "10 Regeln für eine vollwertige Ernährung" der DGE umfassen folgende Aspekte:
Lebensmittelvielfalt genießenGemüse und Obst -Nimm 5 am Tag Vollkorn wählen Mit tierischen Lebensmitteln die Auswahl ergänzen Gesundheitsfördernde Fette nutzen Zucker und Salz einsparen Am besten Wasser trinken Schonend zubereiten Achtsam essen und genießen Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben



Die Lebensmittelpyramide
Die Lebensmittelpyramide ist ein dreidimensionales Schaubild, welches Nahrungsmittel in Lebensmittelgruppen kategorisiert und in täglich zuzuführende Mengenanteile gliedert. Das Schaubild gilt als Orientierung zur Gestaltungs des Speiseplans sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Die Menge der bedarften Lebensmittel unerscheidet sich in allen Altersgruppen.

 Für Heranwachsende im Alter von vier bis vierzehn Jahren empfiehlt die DGE folgende Orientierungsangaben:


Getränke: 
Die DGE empfiehlt eine Flüssigkeitsversorgung von mindestens 750ml - 1,2l pro Tag.
Eine aureichende Flüssigkeitszufuhr ist wichtig für den Kreislauf und die Konzentration.

Gemüse, Salat und Obst: 
Die DGE empfiehlt eine Dosis von ca. 440-750 Gramm auf fünf Portionen am Tag verteilt.
Die benannten Lebensmittelgruppen sind reich an Vitaminen, Mineralstoffen, Ballaststoffen und sekundären Pflanzenstoffen.
  



Getreideprodukte: Die DGE empfiehlt durchschnittlich vier kleine Rationen an Kohlenhydraten pro Tag. Beispielsweise: 2 mal eine Scheibe Brot, eine Kinderhand Kartoffeln und eine Hand Getreideflocken. Dabei gilt, dass mindestens die Hälfte der Produkte aus Vollkorn- und nicht aus hellen Getreidesorten bestehen sollte.
Der Energiebedarf an Kohlenhydraten hängt sehr stark mit der Bewegungsintensität und der körperlichen Leistungsfähigkeit eines Kindes zusammen.

Milch und Milchprodukte: Die DGE empfiehlt eine Zufuhr von vier kleinen Portionen von Milch bzw. Milchprodukten. Sie rät zu fettarmen Milchprodukten, da diese einen geringeren Anteil an ungesunden Fetten und Kalorien haben und das zusätzliche Fett lediglich einen kleinen geschmacklichen Unterschied hergibt.
Milchprodukte sind wichtig für den Stoffwechsel, die Zufuhr an Eiweiß, Vitaminen und Mineralstoffen.

Fisch, Fleich, Wurst und Eier: Die DGE empfiehlt eine tägliche Ration von Fleisch oder Fisch oder Ei. Das sind täglich entweder 35-50 Gramm Fleisch bzw. Wurst bzw. Fisch / 2-3 Eier in der Woche.
Bei einer vegetarischen Ernährung können die Fleisch, Wurst oder Fischrationen durch andere eiweiß- und eisenreiche Nahrungsmittel ersetzt werden. Von einer veganen Ernährung rät die DGE für Kinder und Jugendliche ab.

Fette und Öle: Bei der Zufuhr von Fetten geht es um die Menge und die Qualität. Ungesättigte Fettsäuren sind nährstoffreich und dienen dem Bau von Zellen und Hormonen. Der menschliche Körper ist auf eine Zufuhr angewiesen, da er sie nicht selbst produzieren kann. Sie sind beispielsweise vorzufinden in Pflanzenölen, Nüssen und Fisch. Die gesättigten Fettsäuren sind nicht gesundheitsfördernd und sollten dem Körper aus diesem Grund nur in geregeltem Maße zugeführt werden. Sie sind vorzufinden in fettreichen Fleisch- und Milchprodukten, salzigen Snacks und Süßigkeiten.


2. Tischkultur und Ambiente

Eine Mahlzeit umfasst laut DGE mehrere Phasen, die alle gleichsam bedeutend und für die gesundheitsfördernde Ernährungsbildung relevant sind:
1. Die Zubereitung der Mahlzeit,
2. Das Verzehren der Mahlzeit,
3. Das Aufräumen und Abschließen der Mahlzeit.

Die DGE betont, wie wichtig es für die Ernährungsbildung eines Kindes ist, dass es in allen Phasen miteingebunden wird und eine Aufgabe bekommt. Je nach Alter und Erfahrung kann es bei der Gestaltung in unterschiedlichem Maße mitwirken. Beispielsweise kann es den Tisch decken und dekorieren, Zutaten wiegen und in eine Schüssel geben oder das Obst und Gemüse schneiden.
Die Küche ist ein Raum für positive Lernerfahrungen!

Während dem Verzehr der Mahlzeit ist eine positive und ruhige Atmosphäre wichtig, die nicht durch konfliktreiche Diskussionen oder stressige Themen gestört werden darf. Während des Essens kommen die Mitglieder der Familie zusammen, um sich auszutauschen und einander voneinander zu erzählen. Während des gemeinsamen Essens können Essgewohnheiten des Kindes am besten beobachtet und gegebenenfalls gelenkt werden.


Fit-Kid - Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder

1. Was ist Fit Kid?

Dit Kid ist ein von der DGE entwickeltes Konzept für die tägliche Verpflegung in Kindertagesstätten. Es basiert auf den oben genannten Prinzipien und stützt sich unter anderem auf die Referenzwerte für Nährstoffzufuhr und Umsetzung (D-A-C-H). Das Programm begründet sich nicht nur durch den steigenden Zuwachs an Kita-Kindern, sondern sie ist auch eine Antwort auf Studien, die über einen bedenklichen Gesundheitszustand und ein beobachtbar unreflektiertes Essverhalten berichten. Fit Kid formuliert das Ziel, die kindliche Esskultur in Kindertagesstätten in positivem Sinne zu prägen, Kinder für Ernährung zu sensibilisieren und gesundheitsfördernde Angewohnheiten praktisch zu vermitteln.

Der Fit-Kid Qualitätsstandard beinhaltet alle Informationen, die für eine vollwertige Ernährungsbildung in einer Tageseinrichtung von Bedeutung sind.

Er bezieht sich auf folgende Aspekte: (1) Nutzen, (2) Gestaltung der Verpflegung, (3) Rahmenbedingungen, (4) Nachhaltigkeit, (5) Zertifizierung.



2. Wie funktioniert Fit Kid?

Das Konzept Fit Kid lässt sich in zwei Bereiche kategorisieren. Der eine Bereich umfasst sowohl die Aufklärung bzw. die Ausbildung aller Beteiligten der Einrichtung und der Küche als auch die Bereitstellung von Informationen zum Thema Ernährung für die Eltern. Der zweite Bereich bezieht sich auf die praktische Umsetzung des Konzepts, also die Herstellung und Konzeption von Speiseplänen, die Zubereitung von Mahlzeiten, die Verarbeitung von Lebensmitteln usw.

Fit Kid möchte ein vielseitiges Ernährungsangebot gewährleisten und fordert einen fünftägigen Speiseplan immer zu Beginn der Woche ein. Innerhalb eines vierwöchigen Zyklus dürfen sich die Pläne nicht wiederholen.
Ein Plan für fünf Tage lässt sich systematisch zusammensetzen, indem der Portionsbedarf an verschiedenen Lebensmitteln für Kinder gedeckt wird, indem Lebensmittel kategorisiert und wie in einem Modulset unterschiedlich miteinander kombiniert zu Gerichten verarbeitet und kombiniert werden.



3. Wer profitiert wie?

Die Kinder: Fit-Kid verspricht ein gesundheitsförderndes Ernährungsangebot für die Kinder. Lecker, abwechslungsreich und schön angerichtet.

Die Eltern: Der DGE-Qualiätsstandard versichert den Eltern ein durchdachtes Konzept, was auf wissenschaftlichen Befunden basiert. Die Eltern können sich laut Fit Kid darauf verlassen, dass sich die Kita zuverlässig um das Wohlbefinden kümmert. Das Konzept verspricht, dass die Eltern in der Kontrolle und Planung mitbestimmen können. Der sogenannte Prüfbogen soll den Eltern ein Gefühl von Sicherheit vermitteln.

Das Team: Das gesamte Team wird in die Ernährung eingeführt und befasst sich intensiv mit der Thematik. Das Konzept liefert klare Informationen und Anleitungen.

Die Kita und Träger: Durch die praktische Umsetzungen des DGE-Qualitätsstandards für die Verpflegung in Tageseinrichtungen kann sich die jeweilige Einrichtung durch eine Zertifizierung auszeichnen, um die Qualität der Kita im Bereich der ernährungsbasierten Gesundheitsförderung zu besiegeln.

Die Zertifizierung umfasst drei Kriterienbereiche, die Fit Kid wie folgt definiert:
1. Lebensmittel: Mittagsverpflegung (optimale Lebensmittelauswahl und Anforderungen an den Speiseplan)
2. Speiseplanung und -herstellung: Kriterien zur Planung und Herstellung der Speisen für die Mittagsverpflegung, Gestaltung des Speiseplans
3. Lebenswelt: Rahmendbedingungen in der Kindertageseinrichtung (zum Beispiel Essatmosphäre oder Essenszeit)

Die Premium- Zertifizierung kann dann erworben werden, wenn zusätzlich zu den oben genannten Kriterien eine Berücksichtigung von Nährstoffmengen stattfindet. Für die Premium-Zertifizierung müssen nährstoffoptimierte Speisepläne für insgesamt 20 Verpflegungstage vorgelegt werden.



Diskussion und Fazit

Die Frage, inwiefern ein Verpflegungsprogramm die Verantwortung für die kindliche Ernährungsbildung übernehmen kann, lässt sich anhand der aufgeführten Informationen für mich nicht eindeutig klären und bewerten.
Das Konzept Fit Kid scheint mir alles in allem schlüssig, in der Praxis umsetzbar und verlässlich. Eine ausgewogene und gesunde Ernährung, die die kindlichen Nährstoffbedürfnisse berücksichtigt, ist durch das Konzept meiner Ansicht nach gewährleistet. Eine Tageseinrichtung, die an dem Programm teilnimmt, beweist für mich ein grundlegendes Interesse für Ernährung und berücksichtigt den hohen Stellenwert der kindlichen Ernährungsbildung. Ein großes Plus gebe ich dem Programm dafür, dass der Qualitätsstandard für alle Interssierten auf der Homepage zugänglich ist. Vor allem im Vergleich zu den Umständen, welche gegenwärtig in Mensen und Kantinen vorgefunden werden, scheint Fit Kid eine vielversprechende Alternative zu sein. Eine fundamentale Bedingung dafür ist jedoch, dass die Kindertagesstätten den Qualitätsstandard in ihrer Einrichtung fortlaufend praktisch umsetzen und ernst nehmen. Bedauerlicherweise wird die Zubereitung der Mahlzeit als wichtiger Prozess der Ernährungsbildung im Konzept nur wenig berücksichtigt. Zwar können die Kinder bei der Speiseplanherstellung mitwirken, doch übernehmen sie keinen aktiven Part in der Küche. Sie lernen nicht, was beim Kochen alles zu berücksichtigen ist, wie man Küchengeräte handhabt oder wie ein Gericht entsteht.
Ein großes Manko des Programms sehe ich darin, dass die anfallenden Kosten für priviligiertere Einrichtungen logischerweise einfacher zu bewältigen sind als für Kindertagesstätten mit geringerem Einkommen. Es ist naheliegend, dass sich mit einer Zertifizierung auch die Kosten für einen Kita-Platz erhöhen und somit wiederum lediglich Kinder aus priviligierteren Familien den Genuss einer gesunden Ernährungbildung durch das Programm genießen können. Doch sind es nicht gerade die Familien aus sozial schwächeren Schichten, die Unterstützung und Aufklärung im Bereich der ernährungsbasierten Gesundheitsförderung gebrauchen könnten?

Unabhängig von der sozialen Schicht der Familie bin ich überzeugt davon, dass eine Tageseinrichtung nicht das gemeinsame Einnehmen einer Mahlzeit mit der Familie ersetzen kann. Gemeinsame Essrituale in einem vertrauten Ambiente stärken das Gemeinschaftsgefühl. Wenn ich mir die aktuell praktizierten Essgewohnheiten in Familien anschaue, sehe ich einen sehr großen Bedarf darin, Eltern über Ernährung und die Gestaltung von Mahlzeiten aufzuklären und den hohen Stellenwert der gemeinsamen Esspraxen für den Zusammenhalt der Familie und die Entwicklung des Kindes bzw. der Kinder ins Bewusstsein zu rufen. Das ist der Punkt, an welchem institutionelle Aufklärungsarbeit und Ernährungsbildung anknüpfen sollte. Die eigentliche Bedeutung von Ernährung, nämlich die körperliche Gesundheit, muss wieder ins Zentrum  gerückt werden. Letztendlich sind Essgewohnheiten auch ein Ausdruck der psychischen Verfassung und der Beziehung eines Menschen zu sich selbst.

Allem in allem würde ich das Ernährungsprogramm Fit Kid als ein gutes Verpflegungsangebot für Kitas bewerten, welches durchaus gewährleistet, dass die Kinder mit den essentiellen Nährstoffen versorgt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass das Programm dahingehend optimiert werden kann, dass die Individualität und Subjektivität eines Kindes mehr Berücksichtigung findet. Beispielsweise schlage ich vor, dass die Kinder die Größe ihrer Portionen selbst bestimmen, um eigene Hunger- bzw. Sättigungsbedürfnisse regulieren zu lernen. Auch wenn das Programm sehr gut durchdacht und ausgearbeitet ist, darf nicht vergessen werden, dass der subjektive Bedarf an Nährstoffen sowohl körper- als auch tagesformabhängig ist und der Bedarf nur bedingt in Abhängigkeit zum Alter steht. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit den eigenen Essgewohnheiten würde den Schüler*innen helfen, die richtige Ernährung für sich selbst zu finden. Ich denke dabei beispielsweise an ein Ernährungstagebuch, in welchem die Schüler*innen in vereinfachter Form beschreiben, was sie gegessen haben und wie sie sich nach dem Verzehr dieses Gerichtes fühlen. Auf diese Weise könnten sie erfahrungsgebunden eine Abhängigkeit zwischen ihrem Wohlbefinden und dem Verzehr bestimmter Nahrungsmittel oder Lebensmittelgruppen erkennen und lernen, mit ihren persönlichen Bedürfnissen umzugehen.

Quellen:
https://www.fitkid-aktion.de/dge-qualitaetsstandard/
https://www.fitkid-aktion.de/dge-qualitaetsstandard/nutzen/
https://www.fitkid-aktion.de/fachinformationen/kinderernaehrung/
https://www.fitkid-aktion.de/fachinformationen/fuer-die-gemeinschaftsverpflegung/
https://www.fitkid-aktion.de/dge-qualitaetsstandard/gestaltung-der-verpflegung/
https://www.dge.de/
https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/10-regeln-der-dge/
https://www.dge.de/ernaehrungspraxis/vollwertige-ernaehrung/lebensmittelpyramide/
https://www.5amtag.de/wissen/was-ist-5-am-tag/

DGE (2016): 13. Ernährungsbericht.
BMEL (2014): INFORM. Deutschlands Initiative für gesunder Ernährung und mehr Bewegung. Nationaler Aktionsplan zur Prävention von Fehernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusamenhängende Krankheiten.
BLE/DGE (2018): Das beste Essen für Kinder. Empfehlungen für die Ernährung von Kindern. 4. Auflage. 1447/2018, Bonn.