Dienstag, 28. Juni 2016

Frühe Hilfen

Ein Sicherheitsnetz für Kinder?!

Kinder gelten als ein besonders hohes Gut der Gesamtgesellschaft. Ihr Wohl sowie deren Gesundheit erfährt in Deutschland eine zunehmende Aufmerksamkeit. (Meyer-Gräwe et al., 2011) Inzwischen kümmern sich diverse Schutzprogramme und Präventionsangebote um die Belange von Kindern und dennoch sind nur wenige so erfolgreich wie das Netzwerk Frühe Hilfen (FH).
Die FH wurden „im Zuge der Stärkung des Kinderschutzes“ vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend umgesetzt (Meyer-Gräwe et al., 2011, S. 7). Als entscheidend für deren Erfolg gilt die intensive Zusammenarbeit von beteiligten Akteuren der Lebenswelten von Kindern, welche die Gesundheitsförderung und Präventionsarbeit in Kommunen, Kindergärten und Schulen vollständig implementieren und langfristig wachsen lassen. Dadurch bietet das Netzwerk der FH Eltern in schwierigen Lebensphasen eine Art „Sicherheitsnetz“ mit freiwilligem Zugang.
Im Folgenden wird das Netzwerk Frühe Hilfen (FH) genauer dargestellt, die gesetzlichen Hintergründe beschrieben sowie Kriterien des Erfolgs aufgezeigt. Im Anschluss werden Diskussionsanregungen zur Übertragbarkeit in Schule und Betrieb gegeben.

Hintergrundinformation: Das Handlungsprinzip „Vermitteln und Vernetzen“ ist eines von drei Prinzipien, die bereits in der Ottawa-Charta von1986 als zentral für die Gesundheitsförderung verankert worden sind. Hinzukommen die Handlungsprinzipien „Interessen verstehen“ und „Befähigen und ermöglichen“. Bis dato werden die Prinzipien unzureichend umgesetzt. (Siebert et al., 2007) Diese Schwierigkeiten werden unter anderem jedes Jahr auf dem seit 21 Jahren stattfindenden Kongress Armut und Gesundheit diskutiert.

Frühe Hilfen (FH)

Die Frühen Hilfen sind ein kommunales Netzwerk aus gleichberechtigten Fachkräften verschiedener Bereiche des Gesundheitssystems sowie der Kinder- und Jugendhilfe, welche Familien in Krisenzeiten Unterstützung anbieten. Grundsätzlich können Netzwerke „…eine Gruppierung von Individuen, Organisationen oder Einrichtungen“ sein, die „auf einer nicht hierarchischen Basis um gemeinsame Themen oder Angelegenheiten organisiert“ sind (WHO 1998, S. 16 zit. n. Siebert 2007).
Die FH konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf Kinder von 0 bis 6 Jahren und bieten sowohl primäre Präventionsangebote für alle Eltern an als auch sekundäre Präventionsangebote für Familien in Problemlagen. Tendenziell fehlen besonders Familien in schwierigen sozialen Lebensumständen Bewältigungsmöglichkeiten, deren Folgen sowohl die Gesundheit der Kinder negativ beeinflussen als auch die Entstehung eines negativen Kohärenzgefühls auslösen können. Dies gilt es zu reduzieren. (Thyen 2014)

Fundament und Leitbild der Frühen Hilfen

Aus aktueller Sicht stehen die FH auf einem soliden gesetzlichen Fundament. Zum einen bilden die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, das Bundeskinderschutzgesetz und das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie das Achte Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) die Grundlage, aus welchen sich die Ziele und das Leitbild der FH ableiten. In erster Linie streben die FH den Schutz von Kindern und die Sicherung ihrer Rechte an. In zweiter Linie kommt die staatliche Gemeinschaft dadurch ihrer Funktion als Unterstützer von Familien bei der Erziehung nach. (Thyen 2014)
Zum anderen haben die FH seit 2015 mit Inkrafttreten des Präventionsgesetzes (PrävG, Art. 1, Nr. 5) einen hinreichenden politischen Auftrag, der sie finanziell und personell absichert. Das Gesetz bietet eine gute Basis vielfältige Zugänge und passgenaue Angebote in der unmittelbaren Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu entwickeln und somit wichtige Schritte in der Gesundheitsförderung und Prävention zu gehen. Dies gilt auch für andere gesundheitsförderliche Angebote. (Siebert 2007)

Arbeitsfeld und Grundsätze der Frühen Hilfen

·       „FH orientieren sich an den Bedarfen der Familien.
·       FH sind Angebote an (werdende) Familien und ihre Kinder ab der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr der Kinder.
·       FH sind geprägt von einer wertschätzenden und auf Vertrauen basierenden Grundhaltung in der Arbeit mit Familien.
·       FH setzen an den Ressourcen der Familien an, stärken ihr Selbsthilfepotential und fördern die Elternverantwortung.
·       FH richten sich an alle Familien und sind dem Diversity-Konzept verpflichtet.
·       FH haben ein eigenes Profil und sind integriert (in ein Gesamtspektrum an Unterstützungsangeboten).
·       FH schaffen niedrigschwellige Zugänge für psychosozial belastete Familien.
·       FH werden von allen geleistet, die Kontakt zu psychosozialen Familien und ihren Kindern haben.
·       FH sind kommunal verankert. Sie sind mit Ressourcen für eigenständiges Handeln ausgestattet.
·       FH werden in Netzwerken gestaltet und koordiniert.
·       FH verfügen in den Netzwerken über allgemeine und spezifische Kompetenzen der beteiligten Akteure.
·       FH orientieren sich an wissenschaftlich fundierten Grundlagen der Gesundheitsförderung und der sozialen Arbeit mit Familien.
·       FH sind qualitätsgesichert und werden regelmäßig evaluiert.“
                                                                                                           (entnommen Thyen 2014, S. 8-12)
Somit wirken die FH präventiv durch „die frühzeitige Vermeidung und Verminderung von Entwicklungsbenachteiligungen für die Kinder“ (ebd., S. 8) und es können neben kurzfristigen Effekten auch langfristig positive Effekte für die Gesundheit von Kindern und Eltern entstehen.

Hintergrundinformation: In der Literatur gibt es unterschiedliche Ansätze von Prävention und Gesundheitsförderung, lediglich im Ziel „das Wohlbefinden der Gesamtbevölkerung“ und „Krankheiten sollen verhindert werden“ sind sie konstant (Glaeske et al. 2003, S.10 zit. n. Siebert 2007). Die folgende Tabelle von Hurrelmann (2000) bietet einen differenzierten Überblick über die Unterschiede von Gesundheitsförderung und Phasen der Prävention.

Tabelle 1: Gesundheitsförderung und Phasen der Prävention (Hurrelmann 2000, entnommen Siebert 2007, S.9)

Primärprävention
Sekundarprävention
Tertiärprävention
Gesundheitsförderung
Interventionszeitpunkt
Erkennbare Risikofaktoren
Frühstadium einer Krankheit
Krankheitsfolgen
Gesundheit
Ziel
Gesunderhaltung durch Verhütung spezifischer Krankheiten und Risikoschutz
Vorsorge bzw. Erkennung von Krankheiten im Früh­stadium sowie Einleitung effektiver Interventionsmaßnahmen (Behandlung) mit dem Ziel, die Krankheit auszuheilen oder zum Stillstand zu bringen
Verhütung von Krankheits­verschlechterung und Rückfällen sowie Vermeidung von Folge- und Begleiterkrankungen
Förderung der Gesundheit durch Stärkung der Ressourcen, Verhütung der Ent­stehung von Krankheiten
Zielgruppe
(Noch) Gesunde,
potentielle Risikogruppen
(scheinbar) Gesunde/ bereits erkrankte Personen

Bereits Erkrankte, die entsprechend behandelt werden, von Behinderung Bedrohte
Gesamtbevölkerung
Beispiele
Schutzimpfungen
Vitamin-D-Prophylaxe
Fluorid-Prophylaxe
Anti-Raucher-Kampagnen
Programme zur gesunden Ernährung und Stressbewältigung
Krebsvorsorge
Früherkennungsuntersuchungen
Screenings
Kur- und Heilbehandlungen
Palliativpflege
Betriebliche Gesundheitsförderung als Organisationsentwicklung
Gesundheitsfördernde Schule
Gesundheitsfördernder Kindergarten


Warum ist dieses Konzept so erfolgreich?

Der Erfolg kann mit vielfältigen Aspekten begründet werden. Während zum einen der niedrigschwellige und freiwillige Zugang besonders gewichtige Vorteile bietet, kann zum anderen die wissenschaftlich fundierte Herangehensweise als bedeutsam betrachtet werden.
Hierbei spielt in erster Linie das Salutogenese Modell von Antonovsky eine entscheidende Rolle. Antonovsky betrachtet „Gesundheit als Weg“, in welchem „Störungen zur Normalität des Lebens gehören und der Umgang mit ihnen über den aktuellen Gesundheitszustand entscheidet“ (Krapp 2013 et al., S. 3). Das Netzwerk der FH zeigt betroffenen Familien Lösungswege mit ihren Schwierigkeiten umzugehen und fördert so die Entwicklung eines starken Kohärenzgefühls sowie das Erreichen von Wohlbefinden. Das Kohärenzgefühl „besteht aus den drei Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit/ Sinnhaftigkeit“ und „lässt Menschen Anforderungen als Herausforderungen wahrnehmen anstatt sie als Bedrohung zu sehen“ (ebd., S. 4). Es ist eines der wichtigsten Faktoren, um die Resilienz und damit die Widerstandsfähigkeit von Menschen in widrigen Lebensumständen zu stärken. Dies gilt für Erwachsene und Kinder gleichermaßen (Bengel et al. 2012, Kormann 2007). Folglich kann beispielsweise eine „Herausforderung“, wie die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds oder die Trennung vom Partner, mit einem starken Kohärenzgefühl leichter gemeistert werden.
Des Weiteren können die FH durch den regelmäßigen Erfahrungsaustausch innerhalb des Netzwerkes und unter Ausnutzung von „Interdisziplinarität, Multiprofessionalität, Synergieeffekte, Anschlussfähigkeit, Innovation, Flexibilität und Stärke“ raschere und innovativere Lösungsansätze finden (Siebert et al. 2007, S. 7). Dies verringert nicht nur Doppelversorgungen und damit Kosten, sondern erhöht ebenso die Motivation und Effizienz (Eberle 2005, S. 11f zit. n. Siebert et al. 2007).
Innerhalb des Netzwerks kommt Hebammen, Familienhebammen sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern eine zentrale Rolle zu. Da diese Berufsgruppen über ein sehr vielfältiges Unterstützungsangebot verfügen, indem sie neben der Gesundheitsförderung auch Heilungsprozesse und psychosoziale Arbeit leisten können (Thaiss2015), sind sie eine wichtige Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitsversorgung. Allerdings sind ihre Abrechnungsmöglichkeiten und somit ihr Verdienst bis dato nicht gesichert (Lenz et al. 2015, Hebammenverband).
Ihre enorme gesellschaftspolitische Bedeutung im Hinblick auf die Förderung von Kindergesundheit spiegelt sich ebenso in Aussagen von betroffenen Familien wieder, welche die in Anspruch genommenen Familienhebammen und Familien-Gesundheits- oder Kinderkrankenpflegerinnen zu 98% weiterempfehlen würden (Thaiss 2015).

Familienhebammen im Einsatz:

  
Teilweise werden auch ehrenamtlich tätige Personen in das Netzwerk Frühe Hilfen eingebunden, wie beispielsweise bei der Caritas.
Ehrenamtliche im Einsatz:


Dank strenger Qualitätskriterien und diverser Evaluationsstudien kann inzwischen belegt werden, wie effizient die Netzwerke FH die Kindergesundheit verbessern. Besonders erfreulich ist, dass die FH auch von den Zielgruppen in Anspruch genommen werden, die in der Gesundheitsförderung schwierig zu erreichen sind. Zwar scheint hier die Bildung bei der Wahl des Beratungsangebots eine Rolle zu spielen, aber deren Bedeutung ist nicht so stark ausgeprägt wie bei anderen gesundheitlichen Angeboten. (Thaiss 2015) Außerdem können die FH bereits recht früh – noch vor der Geburt eines Kindes – in Anspruch genommen werden, wodurch die Unterstützungsphase meist kürzer und kostengünstiger ausfällt (Lenz et al. 2015).
Insgesamt kann durch Reduktion der akuten Belastung und Sicherung der Grundversorgung das Vertrauen in das eigene Handeln sowie die Selbstwirksamkeit der Eltern gestärkt werden, wodurch langfristig eine präventive Wirkung für die Gesundheit der ganzen Familie erzielt wird (Thyen 2014). Zu guter Letzt trägt auch das hohe Engagement der Fachkräfte zum Gelingen bei.

Ausführliche Evaluationsberichte:

Fazit

Während die Netzwerke Frühe Hilfen als besonders gelungenes Angebot in der Gesundheitsförderung VOR Schuleintritt gelten, kommt die Frage auf, inwiefern die Netzwerke der FH als Vorbild für andere Angebote fungieren können. Sowohl das Setting Schule als auch das Setting Betrieb sind Teile der Bildungskette, in welcher Kinder und Jugendliche Gesundheitsbildung erfahren und erleben sollen (Bildungspläne 2016).
Welche Rahmenbedingungen kann nun eine Schule bzw. ein Betrieb schaffen, um bei zukünftigen problembehafteten Situationen unterstützend wirksam zu sein? Inwiefern kann eine Schule bzw. ein Betrieb die Gesundheit stärken und Präventionsarbeit leisten? Inwiefern können schon vorhandene Projekte, wie "Science Kids" oder "Be fit per click", die anvisierten Ziele voranbringen?
Zu guter Letzt sollte bei allen Umsetzungsmaßnahmen die eigene Gesundheit nicht vernachlässigt werden, denn nur eine „gesunde“ Lehrperson bzw. Ausbildungsleiter/In kann zu einer gelingenden Gesundheitsförderung und Prävention der Schützlinge beitragen.

Verwendete Literatur
Bengel, J.; Lyssenko, L. (2012). Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter. Stand der Forschung zu psychologischen Schutzfaktoren von Gesundheit im Erwachsenenalter. (Hrsg.) BZgA. S.65-69
Abgerufen am 23. Mai 2016 von https://www.haw-hamburg.de/fileadmin/ user_upload/CCG/2015.10.14_BZgA_Bengel_2012_Resilienz _und_Gesundheitsfoerderung.pdf
Krapp, T.; Schaal, S. (2013). Eine Herausforderung: Gesundheit und Wohlbefinden in der Schule. Unterricht Biologie 382.
Kormann, G. (2007). Resilienz. Was Kinder stärkt und in ihrer Entwicklung unterstützt. In: Plieninger, M.; Schumacher, E. (Hrsg.). Auf den Anfang kommt es an – Bildung und Erziehung im Kindergarten und im Übergang zur Grundschule. Gmünder Hochschulreihe Nr. 27, S. 37 – 56.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2016). Bildungsplan 2016 – Allgemein bildende Grundschule, Endfassung (Stand: 23. März 2016). Stuttgart 
Abgerufen am 25. April 2016 von http://www.bildungspläne-bw.de/site/ bildungsplan/ get/documents/lsbw/export-pdf/ALLG/GS/SU/bildungsplan_ALLG_GS_ SU.pdf
Lenz, A.; Franzkowski, P. (2015). Verantwortungsgemeinschaften in den Frühen Hilfen. Regelungsstand und Regelungsbedarfe in den sozialrechtlichen Bezugssystemen. Beitrag des NZFH-Beirats. (Hrsg.) Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA).
Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/fruehehilfen.de/pdf/Publikation_NZFH_Verantwortungsgemeinschaften_kompakt_04.pdf
Meier-Gräwe, U.; Wagenknecht, I. (2011). Kosten und Nutzen Früher Hilfen. (Hrsg.) Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der BzgA.
Abgerufen am 27. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/ fruehehilfen.de/pdf/Kosten_und_Nutzen_Frueher_Hilfen.pdf
Siebert, D.; Hartmann, T. (2007). Basiswissen Gesundheitsförderung/ Settings und Netzwerke in der Gesundheitsförderung.
Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.gesundheitsfoerdernde-hochschulen.de/Inhalte/B_Basiswissen_GF/B2_Rahmenbedingungen/B2_Basiswissen_GF_Rahmenbedingungen_GF.doc.
Thaiss, H. (2015) Infobroschüre des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) in der BzgA. Ausgabe 4/2015.
Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/fruehehilfen.de/pdf/Bundesinitiative_Fruehe_Hilfen_aktuell_04_2015.pdf
Thyen, U. (2014). Leitbild Frühe Hilfen. Beitrag des NZFH-Beirats. (erw. Auflage 2014). (Hrsg.) Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der BzgA.
            Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/fruehehilfen.de/pdf/NZFH_Kompakt_Beirat_Leitbild_fuer_Fruehe_Hilfen_BZgA_low_14-02332.pdf

Frühe Hilfen

Ein Sicherheitsnetz für Kinder?!

Kinder gelten als ein besonders hohes Gut der Gesamtgesellschaft. Ihr Wohl sowie deren Gesundheit erfährt in Deutschland eine zunehmende Aufmerksamkeit. (Meyer-Gräwe et al., 2011) Inzwischen kümmern sich diverse Schutzprogramme und Präventionsangebote um die Belange von Kindern und dennoch sind nur wenige so erfolgreich wie das Netzwerk Frühe Hilfen (FH).
Die FH wurden „im Zuge der Stärkung des Kinderschutzes“ vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend umgesetzt (Meyer-Gräwe et al., 2011, S. 7). Als entscheidend für deren Erfolg gilt die intensive Zusammenarbeit von beteiligten Akteuren der Lebenswelten von Kindern, welche die Gesundheitsförderung und Präventionsarbeit in Kommunen, Kindergärten und Schulen vollständig implementieren und langfristig wachsen lassen. Dadurch bietet das Netzwerk der FH Eltern in schwierigen Lebensphasen eine Art „Sicherheitsnetz“ mit freiwilligem Zugang.
Im Folgenden wird das Netzwerk Frühe Hilfen (FH) genauer dargestellt, die gesetzlichen Hintergründe beschrieben sowie Kriterien des Erfolgs aufgezeigt. Im Anschluss werden Diskussionsanregungen zur Übertragbarkeit in Schule und Betrieb gegeben.

Hintergrundinformation: Das Handlungsprinzip „Vermitteln und Vernetzen“ ist eines von drei Prinzipien, die bereits in der Ottawa-Charta von1986 als zentral für die Gesundheitsförderung verankert worden sind. Hinzukommen die Handlungsprinzipien „Interessen verstehen“ und „Befähigen und ermöglichen“. Bis dato werden die Prinzipien unzureichend umgesetzt. (Siebert et al., 2007) Diese Schwierigkeiten werden unter anderem jedes Jahr auf dem seit 21 Jahren stattfindenden Kongress Armut und Gesundheit diskutiert.

Frühe Hilfen (FH)

Die Frühen Hilfen sind ein kommunales Netzwerk aus gleichberechtigten Fachkräften verschiedener Bereiche des Gesundheitssystems sowie der Kinder- und Jugendhilfe, welche Familien in Krisenzeiten Unterstützung anbieten. Grundsätzlich können Netzwerke „…eine Gruppierung von Individuen, Organisationen oder Einrichtungen“ sein, die „auf einer nicht hierarchischen Basis um gemeinsame Themen oder Angelegenheiten organisiert“ sind (WHO 1998, S. 16 zit. n. Siebert 2007).
Die FH konzentrieren sich schwerpunktmäßig auf Kinder von 0 bis 6 Jahren und bieten sowohl primäre Präventionsangebote für alle Eltern an als auch sekundäre Präventionsangebote für Familien in Problemlagen. Tendenziell fehlen besonders Familien in schwierigen sozialen Lebensumständen Bewältigungsmöglichkeiten, deren Folgen sowohl die Gesundheit der Kinder negativ beeinflussen als auch die Entstehung eines negativen Kohärenzgefühls auslösen können. Dies gilt es zu reduzieren. (Thyen 2014)

Fundament und Leitbild der Frühen Hilfen

Aus aktueller Sicht stehen die FH auf einem soliden gesetzlichen Fundament. Zum einen bilden die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, das Bundeskinderschutzgesetz und das Grundgesetz (Art. 6 Abs. 2 GG) sowie das Achte Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfe (SGB VIII) die Grundlage, aus welchen sich die Ziele und das Leitbild der FH ableiten. In erster Linie streben die FH den Schutz von Kindern und die Sicherung ihrer Rechte an. In zweiter Linie kommt die staatliche Gemeinschaft dadurch ihrer Funktion als Unterstützer von Familien bei der Erziehung nach. (Thyen 2014)
Zum anderen haben die FH seit 2015 mit Inkrafttreten des Präventionsgesetzes (PrävG, Art. 1, Nr. 5) einen hinreichenden politischen Auftrag, der sie finanziell und personell absichert. Das Gesetz bietet eine gute Basis vielfältige Zugänge und passgenaue Angebote in der unmittelbaren Lebenswelt von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu entwickeln und somit wichtige Schritte in der Gesundheitsförderung und Prävention zu gehen. Dies gilt auch für andere gesundheitsförderliche Angebote. (Siebert 2007)

Arbeitsfeld und Grundsätze der Frühen Hilfen

·       „FH orientieren sich an den Bedarfen der Familien.
·       FH sind Angebote an (werdende) Familien und ihre Kinder ab der Schwangerschaft bis zum dritten Lebensjahr der Kinder.
·       FH sind geprägt von einer wertschätzenden und auf Vertrauen basierenden Grundhaltung in der Arbeit mit Familien.
·       FH setzen an den Ressourcen der Familien an, stärken ihr Selbsthilfepotential und fördern die Elternverantwortung.
·       FH richten sich an alle Familien und sind dem Diversity-Konzept verpflichtet.
·       FH haben ein eigenes Profil und sind integriert (in ein Gesamtspektrum an Unterstützungsangeboten).
·       FH schaffen niedrigschwellige Zugänge für psychosozial belastete Familien.
·       FH werden von allen geleistet, die Kontakt zu psychosozialen Familien und ihren Kindern haben.
·       FH sind kommunal verankert. Sie sind mit Ressourcen für eigenständiges Handeln ausgestattet.
·       FH werden in Netzwerken gestaltet und koordiniert.
·       FH verfügen in den Netzwerken über allgemeine und spezifische Kompetenzen der beteiligten Akteure.
·       FH orientieren sich an wissenschaftlich fundierten Grundlagen der Gesundheitsförderung und der sozialen Arbeit mit Familien.
·       FH sind qualitätsgesichert und werden regelmäßig evaluiert.“
                                                                                                           (entnommen Thyen 2014, S. 8-12)
Somit wirken die FH präventiv durch „die frühzeitige Vermeidung und Verminderung von Entwicklungsbenachteiligungen für die Kinder“ (ebd., S. 8) und es können neben kurzfristigen Effekten auch langfristig positive Effekte für die Gesundheit von Kindern und Eltern entstehen.

Hintergrundinformation: In der Literatur gibt es unterschiedliche Ansätze von Prävention und Gesundheitsförderung, lediglich im Ziel „das Wohlbefinden der Gesamtbevölkerung“ und „Krankheiten sollen verhindert werden“ sind sie konstant (Glaeske et al. 2003, S.10 zit. n. Siebert 2007). Die folgende Tabelle von Hurrelmann (2000) bietet einen differenzierten Überblick über die Unterschiede von Gesundheitsförderung und Phasen der Prävention.

Tabelle 1: Gesundheitsförderung und Phasen der Prävention (Hurrelmann 2000, entnommen Siebert 2007, S.9)

Primärprävention
Sekundarprävention
Tertiärprävention
Gesundheitsförderung
Interventionszeitpunkt
Erkennbare Risikofaktoren
Frühstadium einer Krankheit
Krankheitsfolgen
Gesundheit
Ziel
Gesunderhaltung durch Verhütung spezifischer Krankheiten und Risikoschutz
Vorsorge bzw. Erkennung von Krankheiten im Früh­stadium sowie Einleitung effektiver Interventionsmaßnahmen (Behandlung) mit dem Ziel, die Krankheit auszuheilen oder zum Stillstand zu bringen
Verhütung von Krankheits­verschlechterung und Rückfällen sowie Vermeidung von Folge- und Begleiterkrankungen
Förderung der Gesundheit durch Stärkung der Ressourcen, Verhütung der Ent­stehung von Krankheiten
Zielgruppe
(Noch) Gesunde,
potentielle Risikogruppen
(scheinbar) Gesunde/ bereits erkrankte Personen

Bereits Erkrankte, die entsprechend behandelt werden, von Behinderung Bedrohte
Gesamtbevölkerung
Beispiele
Schutzimpfungen
Vitamin-D-Prophylaxe
Fluorid-Prophylaxe
Anti-Raucher-Kampagnen
Programme zur gesunden Ernährung und Stressbewältigung
Krebsvorsorge
Früherkennungsuntersuchungen
Screenings
Kur- und Heilbehandlungen
Palliativpflege
Betriebliche Gesundheitsförderung als Organisationsentwicklung
Gesundheitsfördernde Schule
Gesundheitsfördernder Kindergarten


Warum ist dieses Konzept so erfolgreich?

Der Erfolg kann mit vielfältigen Aspekten begründet werden. Während zum einen der niedrigschwellige und freiwillige Zugang besonders gewichtige Vorteile bietet, kann zum anderen die wissenschaftlich fundierte Herangehensweise als bedeutsam betrachtet werden.
Hierbei spielt in erster Linie das Salutogenese Modell von Antonovsky eine entscheidende Rolle. Antonovsky betrachtet „Gesundheit als Weg“, in welchem „Störungen zur Normalität des Lebens gehören und der Umgang mit ihnen über den aktuellen Gesundheitszustand entscheidet“ (Krapp 2013 et al., S. 3). Das Netzwerk der FH zeigt betroffenen Familien Lösungswege mit ihren Schwierigkeiten umzugehen und fördert so die Entwicklung eines starken Kohärenzgefühls sowie das Erreichen von Wohlbefinden. Das Kohärenzgefühl „besteht aus den drei Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit/ Sinnhaftigkeit“ und „lässt Menschen Anforderungen als Herausforderungen wahrnehmen anstatt sie als Bedrohung zu sehen“ (ebd., S. 4). Es ist eines der wichtigsten Faktoren, um die Resilienz und damit die Widerstandsfähigkeit von Menschen in widrigen Lebensumständen zu stärken. Dies gilt für Erwachsene und Kinder gleichermaßen (Bengel et al. 2012, Kormann 2007). Folglich kann beispielsweise eine „Herausforderung“, wie die psychische Erkrankung eines Familienmitglieds oder die Trennung vom Partner, mit einem starken Kohärenzgefühl leichter gemeistert werden.
Des Weiteren können die FH durch den regelmäßigen Erfahrungsaustausch innerhalb des Netzwerkes und unter Ausnutzung von „Interdisziplinarität, Multiprofessionalität, Synergieeffekte, Anschlussfähigkeit, Innovation, Flexibilität und Stärke“ raschere und innovativere Lösungsansätze finden (Siebert et al. 2007, S. 7). Dies verringert nicht nur Doppelversorgungen und damit Kosten, sondern erhöht ebenso die Motivation und Effizienz (Eberle 2005, S. 11f zit. n. Siebert et al. 2007).
Innerhalb des Netzwerks kommt Hebammen, Familienhebammen sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflegern eine zentrale Rolle zu. Da diese Berufsgruppen über ein sehr vielfältiges Unterstützungsangebot verfügen, indem sie neben der Gesundheitsförderung auch Heilungsprozesse und psychosoziale Arbeit leisten können (Thaiss2015), sind sie eine wichtige Schnittstelle zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Gesundheitsversorgung. Allerdings sind ihre Abrechnungsmöglichkeiten und somit ihr Verdienst bis dato nicht gesichert (Lenz et al. 2015, Hebammenverband).
Ihre enorme gesellschaftspolitische Bedeutung im Hinblick auf die Förderung von Kindergesundheit spiegelt sich ebenso in Aussagen von betroffenen Familien wieder, welche die in Anspruch genommenen Familienhebammen und Familien-Gesundheits- oder Kinderkrankenpflegerinnen zu 98% weiterempfehlen würden (Thaiss 2015).

Familienhebammen im Einsatz:

  
Teilweise werden auch ehrenamtlich tätige Personen in das Netzwerk Frühe Hilfen eingebunden, wie beispielsweise bei der Caritas.
Ehrenamtliche im Einsatz:


Dank strenger Qualitätskriterien und diverser Evaluationsstudien kann inzwischen belegt werden, wie effizient die Netzwerke FH die Kindergesundheit verbessern. Besonders erfreulich ist, dass die FH auch von den Zielgruppen in Anspruch genommen werden, die in der Gesundheitsförderung schwierig zu erreichen sind. Zwar scheint hier die Bildung bei der Wahl des Beratungsangebots eine Rolle zu spielen, aber deren Bedeutung ist nicht so stark ausgeprägt wie bei anderen gesundheitlichen Angeboten. (Thaiss 2015) Außerdem können die FH bereits recht früh – noch vor der Geburt eines Kindes – in Anspruch genommen werden, wodurch die Unterstützungsphase meist kürzer und kostengünstiger ausfällt (Lenz et al. 2015).
Insgesamt kann durch Reduktion der akuten Belastung und Sicherung der Grundversorgung das Vertrauen in das eigene Handeln sowie die Selbstwirksamkeit der Eltern gestärkt werden, wodurch langfristig eine präventive Wirkung für die Gesundheit der ganzen Familie erzielt wird (Thyen 2014). Zu guter Letzt trägt auch das hohe Engagement der Fachkräfte zum Gelingen bei.

Ausführliche Evaluationsberichte:

Fazit

Während die Netzwerke Frühe Hilfen als besonders gelungenes Angebot in der Gesundheitsförderung VOR Schuleintritt gelten, kommt die Frage auf, inwiefern die Netzwerke der FH als Vorbild für andere Angebote fungieren können. Sowohl das Setting Schule als auch das Setting Betrieb sind Teile der Bildungskette, in welcher Kinder und Jugendliche Gesundheitsbildung erfahren und erleben sollen (Bildungspläne 2016).
Welche Rahmenbedingungen kann nun eine Schule bzw. ein Betrieb schaffen, um bei zukünftigen problembehafteten Situationen unterstützend wirksam zu sein? Inwiefern kann eine Schule bzw. ein Betrieb die Gesundheit stärken und Präventionsarbeit leisten? Inwiefern können schon vorhandene Projekte, wie "Science Kids" oder "Be fit per click", die anvisierten Ziele voranbringen?
Zu guter Letzt sollte bei allen Umsetzungsmaßnahmen die eigene Gesundheit nicht vernachlässigt werden, denn nur eine „gesunde“ Lehrperson bzw. Ausbildungsleiter/In kann zu einer gelingenden Gesundheitsförderung und Prävention der Schützlinge beitragen.

Verwendete Literatur
Bengel, J.; Lyssenko, L. (2012). Resilienz und psychologische Schutzfaktoren im Erwachsenenalter. Stand der Forschung zu psychologischen Schutzfaktoren von Gesundheit im Erwachsenenalter. (Hrsg.) BZgA. S.65-69
Abgerufen am 23. Mai 2016 von https://www.haw-hamburg.de/fileadmin/ user_upload/CCG/2015.10.14_BZgA_Bengel_2012_Resilienz _und_Gesundheitsfoerderung.pdf
Krapp, T.; Schaal, S. (2013). Eine Herausforderung: Gesundheit und Wohlbefinden in der Schule. Unterricht Biologie 382.
Kormann, G. (2007). Resilienz. Was Kinder stärkt und in ihrer Entwicklung unterstützt. In: Plieninger, M.; Schumacher, E. (Hrsg.). Auf den Anfang kommt es an – Bildung und Erziehung im Kindergarten und im Übergang zur Grundschule. Gmünder Hochschulreihe Nr. 27, S. 37 – 56.
Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg (2016). Bildungsplan 2016 – Allgemein bildende Grundschule, Endfassung (Stand: 23. März 2016). Stuttgart 
Abgerufen am 25. April 2016 von http://www.bildungspläne-bw.de/site/ bildungsplan/ get/documents/lsbw/export-pdf/ALLG/GS/SU/bildungsplan_ALLG_GS_ SU.pdf
Lenz, A.; Franzkowski, P. (2015). Verantwortungsgemeinschaften in den Frühen Hilfen. Regelungsstand und Regelungsbedarfe in den sozialrechtlichen Bezugssystemen. Beitrag des NZFH-Beirats. (Hrsg.) Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA).
Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/fruehehilfen.de/pdf/Publikation_NZFH_Verantwortungsgemeinschaften_kompakt_04.pdf
Meier-Gräwe, U.; Wagenknecht, I. (2011). Kosten und Nutzen Früher Hilfen. (Hrsg.) Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der BzgA.
Abgerufen am 27. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/ fruehehilfen.de/pdf/Kosten_und_Nutzen_Frueher_Hilfen.pdf
Siebert, D.; Hartmann, T. (2007). Basiswissen Gesundheitsförderung/ Settings und Netzwerke in der Gesundheitsförderung.
Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.gesundheitsfoerdernde-hochschulen.de/Inhalte/B_Basiswissen_GF/B2_Rahmenbedingungen/B2_Basiswissen_GF_Rahmenbedingungen_GF.doc.
Thaiss, H. (2015) Infobroschüre des Nationalen Zentrums Frühe Hilfen (NZFH) in der BzgA. Ausgabe 4/2015.
Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/fruehehilfen.de/pdf/Bundesinitiative_Fruehe_Hilfen_aktuell_04_2015.pdf
Thyen, U. (2014). Leitbild Frühe Hilfen. Beitrag des NZFH-Beirats. (erw. Auflage 2014). (Hrsg.) Nationales Zentrum Frühe Hilfen (NZFH) in der BzgA.
            Abgerufen am 20. April 2016 von http://www.fruehehilfen.de/fileadmin/user _upload/fruehehilfen.de/pdf/NZFH_Kompakt_Beirat_Leitbild_fuer_Fruehe_Hilfen_BZgA_low_14-02332.pdf