Ein Beitrag von Tamara Göttler
Abbildung 1
1 Einleitung
Die aktuelle Studienlage macht deutlich, dass Bewegung, Spiel und Sport einen positiven Einfluss auf das Lernverhalten und die geistige Leistungsfähigkeit haben (vgl. Gasse, 2011; Pühse & Ludyga, 2015). Insbesondere Kinder erschließen sich neue Informationen und Reize oftmals erst durch Bewegung. Mit der zunehmenden Technisierung der Gesellschaft gehen jedoch Veränderungen der Lebenssituation von Kindern einher, die häufig keine ausreichenden Bewegungsgelegenheiten mehr bieten. (Pühse & Ludyga, 2015, S. 2ff.)
Bildungsinstitutionen sind folglich angehalten, auf die veränderte Kindheit zu reagieren, indem sie die eingeschränkten Wahrnehmungs- und Bewegungsmöglichkeiten kompensieren und die Potenziale von Bewegung nutzen. In der Schule ist dies in Form von bewegungsorientiertem Lernen möglich. Aufgrund dessen möchte der vorliegende Beitrag am Beispiel psychomotorischer Lehr- und Lernsettings Möglichkeiten für bewegungsorientiertes Lernens vorstellen.
2 Was bedeutet Psychomotorik?
Begriffsdefinition
3 Potenziale psychomotorischer Lehr- und Lernsettings
Viele Sachverhalte und Erkenntnisse sind für Kinder besser durchschaubar, wenn sie zu den Dingen hingehen, sie diese mit allen Sinnen wahrnehmen können und somit ihre ganze Person am Erfahrungsgewinn beteiligt ist. Psychomotorische Lehr- und Lernsettings können genau hier ansetzen, weil sie eine allgemeine Unterstützung des Zusammenwirkens von Bewegung, Wahrnehmung, Denken, Erleben und Handeln eines Kindes anstreben. Bewegung wird zum Medium der Erfahrungsgewinnung, sodass die körperlich-sinnliche Aneignung in den Vordergrund rückt. Somit werden auch abstraktere Lehrinhalte "greifbarer", "erfassbarer" und damit nachvollziehbarer. (Zimmer. 2019, S. 196-198) Die sich daraus ergebenden Erkenntnisprozesse befähigen die Kinder wiederum, selbst gestaltend auf die Umwelt einzuwirken und sie zu verändern (Zimmer, 2020, S. 17).
Die psychomotorische Gestaltung von Lehr- und Lernsettings ermöglicht folglich ein handlungsorientiertes Lernen, in dem Kinder im Rahmen von Bewegungsaufgaben die Bedeutung und den Inhalt kognitiver Aufgaben erfahren. Gleichzeitig kann mit Hilfe psychomotorischer Elemente den eingeschränkten Wahrnehmungs- und Bewegungsmöglichkeiten von Kindern entgegengewirkt werden. (Weiß et al., 2016, S. 9)
4 Prinzipien der Unterrichtsgestaltung im Sinne der Psychomotorik
- Die Berücksichtigung vielfältiger Sinne bei der Vermittlung von Lehrinhalten
- Verwendung von Arbeitsmaterialen, die vielfältige sensorische Erfahrungen ermöglichen
- Die Isolation einzelner Sinnesbereiche, um die modalitätsspezifische Wahrnehmung zu unterstützen
- Die bewusste Verbindung mehrerer Sinnessysteme
(vgl. Zimmer, 2019, S. 197)
5 Wörter-Hüpfen – Psychomotorik im Deutschunterricht
Das folgende Beispiel ist angelehnt an Zimmer (2019, S. 199f.) und kan als Unterstützung des Schriftspracherwerb im Anfangsunterricht eingesetzt werden.
Vorbereitung
Auf dem Boden im Klassenzimmer oder auf dem Schulhof wird mit Kreppstreifen ein Gitter geklebt und mit Kreidestift ein Buchstabe in jedes Quadrat gemalt. Die Auswahl der Buchstaben und die Verwendung von Klein- und Großbuchstaben erfolgt dabei je nach Lernstand der Klasse.
Umsetzung
Ein Kind überlegt sich still ein Wort und hüpft es auf dem Gitter ab. Die anderen Schüler und Schülerinnen verfolgen aufmerksam die Buchstabenfolge und melden sich, sobald sie das Wort erkannt haben. Wurde das Wort richtig „gelesen“, so ist das nächste Kind an der Reihe. Alternativ können die Kinder auch von einem zum anderen Quadrat hüpfen und dabei immer denjenigen Buchstaben laut aussprechen, auf dem sie gerade stehen.
Darüber hinaus eignet sich das Wörter-Hüpfen auch als Partneraufgabe.
Dafür nennt ein Kind einen Buchstaben und der Partner
stellt sich auf das
entsprechende Quadrat.
Das folgende Video gibt einen Einblick in die Umsetzung des Wörter-Hüpfens im Unterricht.
6 Diskussionsfragen
- Für wie umsetzbar haltet ihr psychomotorische Lehr- und Lernsettings im Unterricht und wo seht ihr möglicherweise Schwierigkeiten?
- Könnt ihr euch vorstellen, das Praxisbeispiel im Unterricht anzuwenden?
- Habt ihr weitere Ideen für die psychomotorische Gestaltung von Lernprozessen?
Literaturverzeichnis
Fischer, K. (2009): Einführung in die Psychomotorik. 3. überarbeitete und erweiterte Auflage. München, Basel: Ernst Reinhardt.
Gasse, M. (2011): Lernen braucht Bewegung – Hinweise aus den Neurowissenschaften. In: Der GanzTag in NRW – Beiträge zur Qualitätsentwicklung. H. 21, S. 24 – 27.
Pühse, U. & Ludyga, S. (2015): Bewegung und Lernen in der Grundschule. Bewegung beeinflusst Gehirnstrukturen. In: Grundschule Sport, H. 6, S. 2-5.
Weiß, O., Voglsinger, J. & Stuppacher, N. (2016): Effizientes Lernen. In: Weiß, O., Voglsinger, J. & Stuppacher, N. (Hrsg.): Effizientes Lernen durch Bewegung. 1. Wiener Kongress für Psychomotorik. Münster: Waxmann.
Zimmer, R. (2019): Handbuch Psychomotorik. Theorie und Praxis der psychomotorischen Förderung von Kindern. Überarbeitete Neuausgabe. Freiburg im Breisgau: Herder.
Zimmer, R. (2020): Handbuch Bewegungserziehung. Grundlagen für Ausbildung und pädagogische Praxis. überarbeitete Neuausgabe. Freiburg im Breisgau: Herder.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: https://ergoerna.de/ergotherapie-in-der-psychomotorik (Zugriff am 02.01.2020).
Hallo Tamara,
AntwortenLöschenvielen Dank für deinen tollen Blog-Beitrag. Ich finde die Idee bewegungsorientiert zu Lernen hervorragend. Ich habe für mich schon sehr früh herausgefunden, dass ich am besten auswendig lerne, wenn ich mich dabei bewege. So habe ich schon bei Klausuren, auf die ich gelernte habe, so einige Kilometer zurückgelegt, indem ich kreuz und quer durch die Wohnung gelaufen bin. Auch unsere Lehrerin in der Realschule ist oft mit uns bei wichtigen Begriffen durchs Klassenzimmer gehüpft und hat uns diese sagen lassen. Bis heute höre ich sie noch durchs Klassenzimmer hüpfen und ‚essenzielle Aminosäure‘ sagen :D. Nun aber weg von meinen eigenen Erfahrungen und zurück zu deinem Beitrag. Bewegung in der Schule ist wichtig, gerade weil die Schüler und Schülerinnen immer mehr sitzen. Die Stundenpläne werden länger und man verbringt immer mehr Zeit im sitzen. Auch zu Hause wird sich dann schnell wieder an den Schreibtisch gesetzt und gelernt oder Hausaufgaben gemacht. Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendliche können physische sowie psychische Folgen haben und diesen gilt es entgegenzuwirken. Es kann zu physischen Folgen wie Übergewicht kommen was zu Begleiterkrankungen wie Diabetes, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen, Atembeschwerden oder Herzkreislaufstörungen führen kann (vgl. Thillmann, 2019). Schulsport ist auf jeden Fall schon ein Anfang, allerdings reicht dies für mich nicht aus. Oftmals hat man nur 90 Minuten Sport in der Woche, in denen nur 45 Minuten effektiv genutzt werden und es um Leistung geht. Warum dann nicht das Lernen und die Bewegung vereinen. Es hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit und auf die Leistungen der Schüler und Schülerinnen. Zudem können dadurch, dass die Vielfalt der Sinne mit einbezogen werden kann beziehungsweise soll, viele Lerntypen auf einmal abgeholt werden. Der visuelle, auditive, motorische sowie der kommunikative Lerntyp können durch das psychomotorische Lernen im Unterricht erreicht werden (vgl. Falk-Frühbrodt). Betrachten wir dein Praxisbeispiel mit dem Wörter-Hüpfen. Der visuelle Lerntyp sieht die Buchstaben und kann ihnen Folgen. Der auditive kann die Buchstaben laut vor sich hersagen und somit das Wort erkennen oder hüpfen. Der motorische Lerntyp wird abgeholt indem er auf dem Feld die Buchstaben entlang hüpft.
Die Frage bezüglich der Umsetzung finde ich sehr schwierig. Ich glaube, dass man dies Methode umsetzen kann allerdings bin ich der Meinung, dass in den Klassenzimmern oftmals der Platz fehlt. Wenn ich mir dein Beispiel mit dem Wörter-Hüpfen nochmals anschaue, benötigt diese Wörtertafel sehr viel Platz im Klassenzimmer. Die Klassenzimmer sind meiner Erfahrung nach immer sehr klein. Vor allem wenn sich in diesen um die 30 Schüler und Schülerinnen, mit Tischen und Stühlen befinden. Allerdings ist dies nicht die einzige Methode und dies muss auch nicht im Klassenzimmer umgesetzt werden. Die Lehrkraft sollte bei der Planung und Umsetzung allerdings auf ihre Möglichkeiten und Umgebung achten.
Liebe Grüße
Fanny Greiff
Quellen:
Falk-Frühbrodt, Christine: Welche Lerntypen gibt es? URL: https://www.iflw.de/blog/lernen/welche-lerntypen-gibt-es/ [Zugriff: 12.01.2021]
Thillmann, Anne (2019): Bewegungsmangel im Kinder-/Jugendalter. Welche Rolle spielt der Sportunterricht? URL: https://www.grin.com/document/542522 [Zugriff: 12.01.2021]
Liebe Fanny,
Löschenvielen Dank für deinen anregenden Kommentar und das Teilen deiner persönlichen Erfahrungen!
Du beschreibst sehr wesentliche Folgen des Bewegungsmangels bei Kindern und Jugendlichen. Als weiteren Grund nennst du hierfür die immer längeren Stundenpläne. Ein Aspekt, den ich in meinem Blogbeitrag gar nicht beachtet habe. Ich stimme dir dahingehend aber definitiv zu.
Interessant finde ich auch deine Feststellung, dass durch den Einbezug vielfältiger Sinne auch unterschiedlich Lerntypen erreichen werden können. Hinsichtlich der angestrebten Inklusion sowie der natürlichen Differenzierung von Unterrichtsstunden sicherlich ein sehr interessanter Aspekt!
Insgesamt finde ich, dass deine Ausführungen einmal mehr die Notwendigkeit der Integration von Bewegung im Unterricht verdeutlichen!
Hinsichtlich der Umsetzung des Praxisbeispiels stimme ich dir zu, dass die Lehrkraft auf die Umgebung und ihre Möglichkeiten achten muss. Meine Idee, dem möglicherweise zu kleinen Klassenzimmer zu entkommen, wäre die Verlagerung der Aufgabe ins Freie, beispielsweise den Schulhof.
Liebe Grüße
Tamara
Liebe Tamara,
AntwortenLöschenvielen Dank für deinen gelungenen Blogbeitrag. Auch ich habe ähnliche Erfahrungen, wie Fanny im Unterricht machen dürfen. Diese möchte ich daher nicht wiederholen und gehe gerne auf deinen Beitrag näher ein. Auch ich halte Sport im Unterricht aber auch generell, für besonders wichtig, da ich selbst sportlich aktiv bin. Es hilft mir Stress abzubauen und mich danach besser auf dich wichtigen Dinge konzentrieren zu können. In der Grundschule habe ich im Unterricht noch öfters Sport machen dürfen. Wir durften gleich zu Beginn des Unterrichts Hampelmänner machen, um wach zu werden und es hat zudem Spaß gemacht. In Kombination direkt mit dem Lernen durfte ich diese Erfahrung in Mathe machen (1x1 Rechenschlange - Durftet ihr auch die Erfahrung machen?). Ich weiß noch, dass es jedes Mal ein Riesengeschrei gab, wenn wir dieses Spiel gespielt haben (natürlich vor Freude). In Musik durften wir beim Singen aufstehen und tanzen. Auf der weiterführenden Schule sind dann solche Dinge ausgeblieben, weil die Zeit dafür einfach nicht mehr da war oder sich die SuS vor Scham geweigert haben. Schade eigentlich.
Zu deinen drei letzten Fragen:
- Ich finde die Umsetzung des Wörter-Hüpfens ebenfalls etwas schwierig, wenn es im Klassenzimmer stattfindet, wegen der bereits von Fanny erwähnten Enge im Raum. Allerdings könnte man das Ganze im Flur/ Gang verlagern. Hier müsste man allerdings auf andere Klassen Rücksicht nehmen, wegen der Lautstärke. Mit 30 SuS wäre das etwas schwierig. Mit einer kleinen Gruppe wäre das sicherlich sehr gut umsetzbar, dann auch im Klassenzimmer.
- Ich könnte mir vorstellen das Wörter-Hüpfen umzusetzen, wenn alles andere passt (siehe oben).
- Englisch Unterricht (Zahlen lernen): Jeder steht auf. Der erste fängt an, hat einen Ball in der Hand, wirft den Ball zum nächsten und setzt sich hin usw.
Ich hoffe ich konnte deine Fragen beantworten.
Liebe Grüße
Silvana
Liebe Silvana,
AntwortenLöschenvielen Dank für deine Rückmeldung!
Zunächst mal - nein, ich habe die Erfahrung der 1x1 Rechenschlange leider nicht machen dürfen. Bis auf Laufdiktate und Eckenraten kann ich mich leider kaum an Bewegung oder psychomotorische Elemente im Unterricht erinnern. Deine und Fannys positiven Erfahrungen geben aber Hoffnung auf Besserung! :)
Deiner Einschätzung bezüglich der Umsetzung des Praxisbeispiels kann ich durchaus zustimmen. Die gegebenen Umstände müssen natürlich von der Lehrkraft berücksichtigt werden.
Eine weitere Schwierigkeit bei der Umsetzung mit einer großen Klasse ist eventuell auch die lange Wartezeit für diejenigen Kinder, die nicht an der Reihe sind oder einfach nicht so schnell im Erraten sind? Eventuell wäre eine Umsetzung in Kleingruppen im Rahmen von Freiarbeitsphasen sinnvoller? Was meint ihr?
Deine Idee zum Zahlenlernen im Englischunterricht finde ich super. Das Spiel ist sicherlich eine schöne Abwechslung zum regulären "Sitzunterricht", aktiviert die SuS und bereitet zusätzlich Freude.
Liebe Grüße
Tamara