Donnerstag, 3. Februar 2022

ESSSTÖRUNGEN BEI SCHÜLER*INNEN

Die ständige Sorge um Gewicht und Essen


Essstörung - Illustrationen und Vektorgrafiken - iStock


Schüler*innen bestreiten auf dem Weg zum Erwachsen werden besondere Entwicklungsaufgaben. Durch verschiedene Faktoren kann dabei das Gleichgewicht ins Wackeln geraten, sodass die jungen Menschen das Gefühl haben, sie verlieren die Kontrolle über ihr menschliches Dasein. Bei einem Versuch, diesen Kontrollverlust zu kompensieren, können sich verschiedene ernsthafte Erkrankungen entwickeln. 

 

Essstörungen gehören zu den häufigsten auftretenden chronischen psychischen Erkrankungen bei Menschen im Erwachsenenalter (Bundesministerium für Gesundheit, 2021). Doch laut einer Studie des Robert-Koch-Instituts in Berlin zeigten 21,9% der 6.634 befragten Kinder und Jugendlichen in Deutschland im Alter von 11-17 Jahren bereits Symptome einer Essstörung. Dabei liegt der Verdacht bei Mädchen für eine Essstörung deutlich höher (Hölling H., Schlack R., 2007). Somit ist das Erkrankungsrisiko bereits im Kinder- und Jugendalter hoch. 

 

Heutige Forschungsergebnisse unterscheiden Essstörungen in drei verschiedene Formen. Die Magersucht (Anorexie) beschreibt hier die am meisten auftretende Form. Sie ist von einer starken Gewichtsabnahme und von anhaltendem Untergewicht geprägt. Das Selbstwertgefühl ist bei Erkrankten ausschließlich vom Gewicht und von der Angst, zuzunehmen oder dick zu sein, geprägt. Um eine Gewichtszunahme zu verhindern, werden hier extreme Methoden angewandt. Typisch für Magersuchterkrankte ist zudem ein hohes Maß an sportlicher Aktivität. Das Untergewicht und die mangelnde Aufnahme von Nährstoffen können im Verlauf der Krankheit schwerwiegende weitere Krankheiten hervorrufen. Dabei haben an Magersucht erkrankte Menschen ein fünffach höheres Risiko zu sterben als Gleichaltrige ohne Erkrankung (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2022). 

Eine weitere Form von Essstörungen ist gekennzeichnet von unkontrollierten Essattacken, in welchen eine Vielzahl von Kalorien innerhalb kürzester Zeit verschlungen werden und danach durch selbst herbeigeführtes Erbrechen wieder ausgeschieden oder durch das Hungern über längere Zeit wieder ausgeglichen werden sollen (Christian Klicpera, Barbara Gasteiger-Klicpera & Edvina Besic, 2019). Der Würgereiz kann auch durch die Einnahme von Medikamenten herbeigeführt werden. Auch diese Form, namens Bulimie, ist stark von der Angst geprägt, an Gewicht zuzunehmen und kann im Verlauf auch zum Tode führen, wobei das Risiko nicht so hoch ist wie bei der Magersucht (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2022).  

Die Binge-Eating-Störung ist durch regelmäßige Essanfälle gekennzeichnet. Betroffene essen innerhalb kürzester Zeit Unmengen an Nahrung und dies unabhängig von einem vorhandenen Hungergefühl. Im Gegensatz zu der Bulimie greifen Betroffene an dieser Stelle nicht zu gewichtsregulierenden Maßnahmen wie Sport, Erbrechen oder Hungern. Nach den Anfällen fühlen die Betroffenen meist Ekel, sind deprimiert oder von Schuldgefühlen geprägt. 

 

Bei der Entstehung von Essstörungen können verschiedene Faktoren eine Rolle spielen. Häufig wirken hierbei familiäre, persönliche und gesellschaftliche Faktoren zusammen und beeinflussen sich gegenseitig, bis diese durch einen Auslöser wie einen Schicksalsschlag oder ein belastendes Ereignis die Krankheit hervorrufen. 

 

Allgemein gilt bei der Behandlung von Essstörungen, je früher diese erkannt werden und die Intervention einsetzt, desto besser sind die Chancen auf eine Bewältigung der Essstörung (Christian Klicpera, Barbara Gasteiger-Klicpera & Edvina Besic, 2019). Betroffene schaffen es meist nicht, allein einen Weg aus der Krankheit herauszufinden. In der Behandlung wird den Betroffenen dabei geholfen, akute Symptome zu lindern und mithilfe eines gesunden Essverhaltens an Gewicht zu zunehmen. Dabei wird auch darauf geachtet, dass gemeinsam mit den Betroffenen auslösende Faktoren erkannt und Strategien entwickelt werden, welche einen Rückfall verhindern sollen. 

 

Bereits in der Grundschule ist jedes zweite Mädchen mit ihrem Körper unzufrieden, obwohl der Höhepunkt der Essstörungen meist erst in der Pubertät erreicht wird (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2009). Die beste Prävention von Essstörungen ist das Vermitteln eines gesunden Selbstbewusstseins sowie eines guten Körpergefühls. 

 

Grundsätzlich gibt es dennoch für Eltern wie auch für Lehrer*innen kein Patentrezept im Umgang mit Betroffenen. Häufig bleiben die Erkrankungen unerkannt, doch bei voranschreitender Krankheit kann es zu Verhaltensveränderungen der Betroffenen kommen. Sie distanzieren sich immer zunehmender vom Klassengeschehen, wirken meist depressiv und reagieren mal aggressiv, mal impulsiv oder weinerlich. Die Leistungen der Betroffenen bleiben meist auch mit voranschreitender Krankheit erhalten, da das hohe Leistungsniveau charakteristisch für das Krankheitsbild ist. Die Magersucht wird bei Schüler*innen noch am häufigsten erkannt, da diese von einem anhaltenden Untergewicht geprägt ist. Dennoch gilt, wenn Lehrer*innen einen Verdacht auf eine Essstörung bei einer Schüler*in haben, nicht abzuwarten, sondern frühzeitig dies anzusprechen. Es handelt sich dabei um schwere Erkrankungen, die je früher sie diagnostiziert werden, desto besser die Chancen auf eine Bewältigung der Krankheit sind (Leitfaden Essstörungen, 2010).

 

Tipps für Lehrer*innen (Leitfaden Essstörungen, 2010): 


ü  Austausch mit Kolleg*innen

ü  Keine Diagnose stellen

ü  Schüler*innen ansprechen

ü  Eltern ansprechen

ü  Brücken bauen

ü  Vorbild sein

ü  Kontakt halten 

ü  Thema „Essstörungen“ im Unterricht 

 

 

Quellen:

 

§  Bundesministerium für Bildung und Forschung: (2009) Durch dick und dünn - Prävention von Essstörungen bei Teenagern. Online im Internet unter: https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/durch-dick-und-dunn-pravention-von-essstorungen-bei-teenagern-3063.php (zuletzt abgerufen am 27.01.2022)

§ Bundesministerium für Gesundheit: Essstörungen. Online im Internet unter: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/e/essstoerungen.html (zuletzt abgerufen am 25.01.2022)

§  Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: Welche Arten gibt es? Online im Internet unter:

https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/arten/?L=0

(zuletzt abgerufen am 25.01.2022)

§  Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung: (2010) Essstörungen. Leitfaden für Eltern, Angehörige und Lehrkräfte. Online im Internet unter: https://www.uni-wuerzburg.de/fileadmin/32500600/Broschueren/Essstoerungen_Leitfaden.pdf (zuletzt abgerufen am 25.01.2022)

§  Christian Klicpera, Barbara Gasteiger-Klicpera & Edvina Besic: (2019), Psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter. 2. Auflage. Ulm: Facultas Verlags- und Buchhandels AG

§  Hölling H., Schlack R.: (2007), Essstörungen im Kindes- und Jugendalter Erste Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey (KiGGS). Robert-Koch-Institut. Online im Internet unter: https://edoc.rki.de/bitstream/handle/176904/427/29RwmUBXgACe2.pdf?sequence=1 (zuletzt abgerufen am 26.01.2022)


Abbildung:
  • https://www.istockphoto.com/de/search/2/imagemediatype=illustration&phrase=essstörung

5 Kommentare:

  1. Hallo Pia,

    ich finde es super, dass du über ein so wichtiges Thema schreibst. Mich hat besonders schockiert, dass in der Studie vom Robert-Koch Institut mehr als 20% der Kinder bereits Symptome einer Esstörung aufweisen. Dass es sich um so eine große Zahl von Betroffenen handelt war mir gar nicht bewusst.

    Und ich glaube genau hier liegt das Problem. Das Thema Essstörungen wird in unserer Gesellschaft leider immer noch zu wenig thematisiert. Dabei ist diese Erkrankung dauerhaft präsent und wird, wie du selbst geschrieben hast, nur selten den Menschen angesehen. Zusätzlich werden Esstörungen durch soziale Medien verstärkt. Hier wird ein bestimmtes Schöhnheitsideal vorgegeben und viele Kinder und Jugendliche fühlen sich angesprochen diesem Ideal nachzueifern. Oder noch schlimmer, sie bekommen das Gefühl vermittelt, von der Gesellschaft nicht anerkannt zu werden, wenn sie diesem Ideal nicht entsprechen.

    Gerade deshalb ist Prävention so wichtig.
    Ich finde es super, dass du Leitlinen für Lehrer*innen angeben hast, die im Falle einer Essstörung bei einem Schüler*in als Orientierungshilfe dienen. Zusätzlich sollten in der Schule Projekte angeboten werden, die Kinder schon in der Grundschule über das Thema Esstörung aufgeklären. Die Kinder und Jugendlichen sollten genauestens darüber informiert werden was man unter dem Begriff Essstörungen versteht und was die ersten Anzeichen davon sind.

    Liebe Grüße Jana

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    1. Hey Jana,

      es freut mich sehr, dass dir mein Blogbeitrag gefallen hat! Auch mich hat das Ergebnis der Studie des Robert-Koch Institut geschockt. Das Essstörung bereits schon in so jungen Jahren auftreten können, war mir zuvor nicht bewusst.

      Du hast vollkommen recht! Das Thema der Essstörungen wird in der Gesellschaft leider viel zu wenig thematisiert. Es wird fast schon als Tabuthema angesehen.
      Die sozialen Medien verstärken den Selbstzweifel bei Jugendlichen immer mehr und stärken meist nicht das Selbstbewusst sein durch das Darstellen bestimmter unrealistischer Schönheitsideale. Der Umgang mit sozialen Medien sollte daher, nicht nur im Hintergrund auf Essstörungen, bewusster behandelt werden.

      Somit ist die Prävention im breiten Maß heute notwendig. Über die Leitlinien hinweg gibt es zahlreiche Organisationen, welche sich auf die Aufklärung von Essstörungen spezialisiert haben. Besonders die Organisation der ANAD hat es sich zum Ziel gemacht, Menschen mit Essstörungen individuell zu beraten und zu unterstützen. Auf ihrer Website bieten sie auch zahlreiche Informationen für Lehrer*innen an. Auch sie thematisieren hier vor allem das idealisierte und unrealistische Körperbild, welches durch die sozialen Medien erzeugt wird. Sie stellen hier auch einiges an Material zu Verfügung, welches Lehrer*innen mit dem Unterrichtsgegenstand Essstörungen unterstützen sollen. Unter diesem Link kannst du gerne weiter nachschauen: https://www.anad.de/essstoerungen/hilfe-durch-aussenstehende/lehrer.php.

      Liebe Grüße
      Pia

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  2. Hey Pia,

    Danke, dass du dich in dem Beitrag mit diesem wirklich wichtigen Thema, dass leider viel zu oft nur einseitig betrachtet wird, auseinander gesetzt hast.

    Schockierend und traurig, dass bereits in der Grundschule jedes zweite Mädchen mit ihrem Körper unzufrieden ist. Das spiegelt aber gut den Trend wieder den man in Schulen und anderen Einrichtungen beobachten kann, dass Eintrittsalter in die Essstörungen sinkt! Ich habe das Gefühl, dass vorallem auch die anhaltende pandemische Lage dies begünstigt. Essstörung, hierbei aber besonders die Anorexie, haben viel mit Macht und Kontrolle zu tun und eben nicht nur mit Schönheitsidealien die auf IG zu sehen sind. Nicht selten ist das Essen - oder eben auch nicht Essen einer der letzten Bereiche, in welchen Betroffene die Kontrolle haben. Denkt man jetzt an die letzten zwei Jahre, in denen man oft machtlos alles über sich ergehen lassen musste (und ich bin dennoch der Meinung, dass die Maßnahmen notwendig und richtig waren- aber das ist ein anderes Thema) und das Gefühl von Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit zunehmend sank, kann man diesen Trend evtl. besser nachvollziehen.

    Ich denke es ist einfach sehr wichtig als Lehrkräft informiert zu sein über das Thema und so Auffälligkeiten zu erkennen und richtig zu deuten, sowie Beratungsstellen oder ähnliches zu kennen, auf die man im Fall zurückgreifen kann.

    LG Xenia

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  3. Hallo Pia,
    danke für deinen Beitrag. Ich fand dass er einen guten Überblick über das Thema gegeben hat und vielleicht für Verständnis sorgt zu verstehen warum diese Krankheit auftreten kann. Ich habe mich vor einiger Zeit sehr intensiv damit unterhalten und finde das Thema schon im engen Familien- oder Freundeskreis schwer anzusprechen. Aber denke als LehrerIn im Zweifelsfall auch nur als FachlehrerIn mit nur zwei Stunden die Woche in der Klasse, kann es sehr schwierig sein den richtigen Weg zu finden. Aber vielleicht fällt es auch den Betroffenen leichter mit einer außenstehenden Person sich darüber zu unterhalten. Ich finde das Thema ist immens wichtig und sollte sehr viel ausführlicher Thematisiert werden. Allerdings kenne ich den Fall das eine SchülerIn durch das Thema auf die GFS Idee kam und sich fasziniert in die Welt und die Kommunikationsforen dieser "Szene" begeben hat und dadurch noch deutlich tiefer in die Erkrankung gezogen wurde. Wobei mir natürlich bewusst ist dass es sich dabei nicht um den Normalfall handelt. Die Selbstwahrnehmung von SchülerInnen ist sehr schwer zu lenken und Ihnen zu helfen dass sie sich selbst als "normal" wahrnehmen, währen ihnen tag täglich Menschen auf den verschiedenen sozialen Foren begegnen, welche anscheinend eine perfekte Figur und den perfekten Körper haben. Wobei es auch dazu heute ja schon sehr viele sensibilisierende Unterrichtsentwürfe gibt. Ich denke dass aber durch die vielen Faktoren die sich auf die Erkrankung auswirken auch viel umfangreicher in der Schule mit dem Thema umgegangen werden muss. Angefangen mit dem verzerrten Bild auf social Media übergehenden zu einer vernünftigen und normalen Wahrnehmung von sich und was "Normal" ist und weiter zu Erkrankungen und eben Möglichkeiten aufzeigen wie ich damit umgehen kann. Auch neben der Schule diese Möglichkeiten bis ins Elternhaus zu tragen. Ich danke dir auf jedenfalls für deinen Beitrag!

    LG Elly

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  4. Hallo liebe Pia,
    danke für deinen tollen Beitrag. Es ging mir wie auch den anderen Kommentatoren: ~ 20 % das ist schon richtig viel! Wenn man das auf eine mittlere Schule mit 500 Kindern hochrechnet dann sind das 100 Schüler oder Schülerinnen! Damit müsste also eigentlich jeder von uns jemanden kennen der solche Symptome gezeigt hat. Das ist schon eine beängstigende Vorstellung, vor allem weil dieses Thema in der Schule trotzdem unterthematisiert zu sein scheint.
    Aufgrund der letzten Jahre scheint das Problem sich wahrscheinlich eher zu verschlimmern als zu verbessern (https://edoc.rki.de/handle/176904/8608). Kontaktbeschränkungen und Schulschließungen treffen Kinder besonders hart. Ein erster Schritt zur Bekämpfung ist immer die Information, deshalb habe ich deinen Artikel mit viel Aufmerksamkeit gelesen.
    Besonders der erste Teil in dem du mit vielen Quellen die unterschiedlichen Erscheinungsformen differenzierst fand ich gelungen.
    Leider war der letzte Teil (mit de Handlungsempfehlungen zum Umgang mit Betroffenen) sehr kurz. Hier hätte ich mir mehr gewünscht. Mir ist natürlich auch klar, dass hier jeder Fall individuell ist und es sehr schwierig ist allgemeine Tipps (über die schon vorhandenen) zu geben. Trotzdem hättest du zumindest an das Info-Telefon der BZGA (https://www.bzga-essstoerungen.de/), als eine erste Anlaufstelle, verweisen können.
    Nochmal danke für deinen wichtigen Beitrag!

    Liebe Grüße
    Karl-Richard Reutter

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