Mittwoch, 16. Februar 2022

Ritalin - das Kokain für Kinder?

 

Ritalin – das Kokain für Kinder?

Wie sinnvoll ist die Behandlung von ADHS mit Ritalin?


Bei einer Diagnose von ADHS ist die häufigste Behandlungsmethode die Vergabe von Ritalin, um dadurch die Konzentration der Kinder zu steigern. Doch was hat Ritalin für Auswirkungen auf die Kinder und hilft es wirklich bei der Behandlung von ADHS?

 

Was ist ADHS?

ADHS ist eine häufig diagnostizierte kinder- und jugendpsychiatrischen Störung. Sie setzt sich aus drei Leitsymptomen zusammen.

·       Unaufmerksamkeit (Aufmerksamkeitsstörung, Ablenkbarkeit)

·       Überaktivität (Hyperaktivität, motorische Unruhe)

·       Impulsivität

Bei der Diagnose müssen mindestens zwei der drei Bereiche erfüllt sein. Außerdem treten die Symptome vor dem sechsten Lebensjahr auf (vgl. Prof. Dr. med. Michael Günter, 2019, S. 6).



ADHS ist eine Multifaktorielle Störung. Das heißt das Auftreten von ADHS wird durch neurobiologische Faktoren wie eine genetische Transmitterstörung von Dopamin und Noradrenalin oder Drogenkonsum während der Schwangerschaft und psychosoziale Faktoren, wie übermäßiger Fernsehkonsum im Kleinkindesalter oder Traumatisierung und schwere familiäre Konflikte bedingt (vgl. ebd. S. 10 ff.).

 

Wirkung von Ritalin

Ritalin wird als Medikament gegen ADHS. Es enthält den Wirkstoff Methylphenidat, welches die Wirkung der Botenstoffe Dopamin und Noradrenalin im synaptischen Spalt verstärkt. Methylphenidat blockiert die Ionen-Pumpen an der präsynaptischen Membran, wodurch die Botenstoffe länger im synaptischen Spalt für Erregung der Dendriten sorgt und damit die Wirkung erhöht wird (siehe Abbildung 1). 



Abbildung 1: Wirkung von
Methylphenidat im synaptischen Spalt


Dadurch wird die vermutete Störung der Transmitter bei ADHS-Patient*innen ausgeglichen und den Symptomen entgegenwirken. Die Wirkung von Ritalin dauert etwa vier Stunden an (vgl. NetDoktor Redaktion, 2018).

Methylphenidat unterscheidet sich in seiner Wirkungsweise und pharmakologisch kaum von Kokain (vgl. Hans-Reinhard Schmidt, 2019, S. 251). Durch die orale Einnahme wirkt es zwar langsamer, sodass Patient*innen wenn überhaupt nur langsam von der Wirkung merken. Sie erleben nicht den Kick, der beim Schnupfen von Kokain erzeugt wird. Nimmt man Ritalin genauso zu sich wie Kokain, wirkt es vergleichbar. Zwar ist Ritalin niedriger dosiert und wird über den Verdauungstrakt aufgenommen, es hat jedoch trotzdem ein hohes Missbrauchs- und Suchtpotenzial (vgl. ebd. S.252).


Neben dem Suchtpotenzial begleiten Methylphenidat, wie jedes Medikament, eine Reihe an Nebenwirkungen. Die häufigsten sind hier aufgelistet.

·      Schlaflosigkeit

·      Nervosität

·       Appetitlosigkeit

·       Bauch- und Kopfschmerzen, Schwindel

·       Gewichtsabnahme

·       Wachstumsverzögerungen (vgl. Julia Elena Popp, 2015, S. 5).

 

Die Gabe von Stimulanzien weist bei 65-75% der Behandelten eine positive Wirkung auf (vgl. Mag. rer. nat. Susanne Hellwig-Brida, 2009, S. 4). Es dient jedoch nur der Linderung der Symptome und nicht der Behandlung der eigentlichen Ursache für Unaufmerksamkeit, Überaktivität und Impulsivität der Betroffenen. Dadurch leben Patient*innen in einer Abhängigkeit von diesem Psychopharmakon. Denn sobald sie es nicht mehr nehmen, treten die Symptome wieder auf.

 

Doch wie sollte man ADHS richtig behandeln?

Methylphenidat kann zwar weiterhin zur Verringerung der Symptome eingesetzt werden. Es ist jedoch auf keinen Fall die alleinige und vorrangige Behandlungsmethode für ADHS. Außerdem sollte es nicht zu schnell verschrieben werden und nur unter Beobachtung der Folgen und Nebenwirkungen eingesetzt werden (vgl. Katharina Bochsler, 2015)

Da Methylphenidat nur die Symptome bekämpft, kann ohnehin nicht von einer langfristigen Therapiemöglichkeit gesprochen werden. Um die Störung nachhaltig zu behandeln, muss vor allem bei den Ursachen angesetzt werden. Daher ist der erste therapierende Ansatz eine Verbesserung der sozialen Umstände des Kindes. Außerdem hilfreich ist eine psychotherapeutische Behandlung (vgl. ebd.).

 

 

 


Literaturverzeichnis

Hans-Reinhard Schmidt (2019) Ich lerne wie ein Zombie - Plädoyer für das Abschaffen von ADHS. 2nd edn. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. Available at: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2F978-3-658-14130-1.pdf (Accessed: 26 December 2021).

Julia Elena Popp (2015) Langzeiteffekte von Methylphenidat auf das kardiovaskuläre System bei Kindern mit Aufmerksamkeits-Hyperaktivitätsstörung. Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität Ulm. Available at: https://oparu.uni-ulm.de/xmlui/bitstream/handle/123456789/4365/Dissertation.pdf?sequence=3&isAllowed=y (Accessed: 26 December 2021).

Katharina Bochsler (2015) Ritalin & Co. in der Kritik der Forscher, SRF. Available at: https://www.srf.ch/wissen/gesundheit/ritalin-co-in-der-kritik-der-forscher (Accessed: 26 December 2021).

Mag.rer.nat. Susanne Hellwig-Brida (2009) Einfluss von Methylphenidat auf die kognitive Leistungsfähigkeit und Aufmerksamkeitsfunktionen bei Kindern mit ADHS. Universitätsklinikum Ulm Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie. Available at: https://oparu.uni-ulm.de/xmlui/bitstream/handle/123456789/2046/vts_7202_10144.pdf?sequence=1&isAllowed=y (Accessed: 26 December 2021).

NetDoktor Redaktion (2018) Ritalin®, NetDoktor. Available at: https://www.netdoktor.de/medikamente/ritalin/ (Accessed: 26 December 2021).

Prof. Dr. med. Michael Günter (2019) ‘Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitätsstörung (ADHS)’. Stuttgart.

 

 

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 https://cdn.prod.www.spiegel.de/images/b86b0855-0001-0004-0000-000000027541_w760_r0.5654761904761905_fpx50_fpy56.55.jpg (Accessed: 26.December 2021)

 

 

1 Kommentar:

  1. Hallo,

    Ritalin mit Kokain gleichzustellen, ist provozierend und hat mich daher sehr aufmerksam gemacht. Dies ist ein sehr schwieriges Thema, mit dem man sich auseinandersetzen sollte.
    Ich stehe einer Vergabe von Ritalin sehr kritisch gegenüber, da, wie in dem Beitrag beschrieben wurde, nur die Symptome gelindert werden, aber nicht die Ursache bearbeitet wird. Gerade im Hinblick auf die Nebenwirkungen, die hier aufgezählt werden, ist es sehr wichtig zu prüfen, ob eine Gabe von Ritalin wirklich notwendig ist. Hierbei muss besonders die hohe Anzahl an Fehldiagnosen beachtet werden. All die Menschen, die fälschlicherweise mit ADHS diagnostiziert werden und denen ggf. auch Ritalin verabreicht wird, werden falsch mit einem Medikament behandelt, dessen Wirkung und Nebenwirkung nicht auf die leichte Schulter genommen werde sollte. Es kann auch langfristige Folgen haben, wie eine Beeinträchtigung in der Lernfähigkeit und der Flexibilität des Verhaltens.
    Hier zeigt sich mal wieder, wie wichtig es ist genau zu diagnostizieren und zu untersuchen woher die Symptome kommen. Dadurch könnten Kinder viel effektiver und ggf. ohne Medikamente behandelt werden.
    Gleichzeitig bin ich der Meinung, dass eine Gabe auch sinnvoll sein kann. Nämlich dann, wenn eine korrekte Diagnose gestellt wurde und die Symptome so ausgeprägt sind, dass das Kind oder die Umwelt so beeinträchtigt ist, dass das normale Leben sehr herausfordernd ist. Jedoch stimme ich zu, dass es nicht vorschnell verschrieben werden sollte, es nicht als alleinige Behandlung eingesetzt wird und es nur unter ständiger, intensiver Beobachtung verabreicht wird.
    Euer Beitrag weckt auf und hat mich sehr zum Nachdenken gebracht. Vielen Dank dafür.

    Quellen:

    Radiological Society of North America (2014)
    https://www.scinexx.de/news/medizin/adhs-hirnscan-gegen-fehldiagnose/
    (zuletzt eingesehen am 17.11.22)

    Liebe Grüße

    Christina

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