Samstag, 22. Januar 2022

Inklusiver Sportunterricht und seine Hürden - Die Bedeutung des Sportunterrichts in Bezug auf die Gesundheitsförderung bei Menschen mit Behinderung


Abbildung 1: https://www.welt.de/politik/deutschland/article219659004/Schulen-in-Deutschland-Fatales-Zeugnis-fuer-die-Inklusion.html

Inklusiver Sportunterricht und seine Hürden –

Die Bedeutung des Sportunterrichts in Bezug auf die Gesundheitsförderung bei Menschen mit Behinderung

 

Gesundheit ist eine wesentliche Voraussetzung für eine Partizipation am alltäglichen Leben. Anderseits ist Partizipation auch eine Voraussetzung für die Gesundheit. Somit lässt sich festhalten, dass Gesundheit und Partizipation in einer engen Verbindung stehen und sich gegenseitig bedingen.[1] Diese beiden Bereiche können bei dem Thema Sport und Bewegung verknüpft werden.

„[…] Die Behinderung findet in einem selbst statt. Den größten Stress macht man sich selbst. Die Grenzen kommen vom Kopf her. Man muss lernen, sich so zu akzeptieren, wie man ist. Dabei kann Sport und der Kontakt zu anderen helfen."[2]

Regelmäßiger Sport und Bewegung ist ein Faktor, der sich positiv auf die physische, psychische und psychosoziale Gesundheit auswirken und somit auch zu einer besseren Lebensqualität führen kann. Da bei Menschen mit einer Behinderung ein erhöhtes Gesundheitsrisiko besteht, ist hier eine Förderung zentral. Jedoch entstehen in diesem Bereich häufig Barrieren, die einen Zugang zu einer angemessenen Förderung verhindern oder nur schwer ermöglichen. Dadurch haben Betroffene oft keine Möglichkeit, aktiv ihre Gesundheit zu fördern. Zum einen liegt es häufig an nicht barrierefreien Gebäuden, zum anderen liegt es aber auch daran, dass benötigte Hilfsmittel für den Sportunterricht fehlen, mit denen individuell auf die jeweiligen Bedürfnisse eingegangen werden kann. Des Weiteren fehlen im Bereich der Institution Schule oft Lehrkräfte, die sich für einen inklusiven Sportunterricht einsetzen.

Gerade die Schule hat die Aufgabe der Gesundheitsförderung, da hier Kinder und Jugendliche mit und ohne Behinderung „[…] über einen längeren Zeitraum konstant erreicht werden können.“[3] Es sollte nicht um die Frage gehen, wie Menschen mit Behinderung integriert werden können, denn sie beinhaltet den Gedanken eines defizit-orientierten Verständnisses von Behinderung. Vielmehr sollte der Schwerpunkt auf Vielfalt und Differenzierung eines gemeinsamen Unterrichts liegen.[4] Hierbei übernehmen besonders Lehrkräfte eine Schlüsselposition.

„Ihre positive Einstellung ist entscheidend für eine gelungene Gestaltung von inklusivem Sportunterricht“ [5], welcher Jugendliche mit und ohne Behinderung gleichermaßen fördert und positiv beeinflusst. Das bedeutet für die Praxis, dass die Inhalte sehr weit gefasst werden müssen und ein breites Spektrum an Aktivitäten angeboten werden muss, welche in einem inklusiven Setting stattfinden und an die Bedürfnisse der Schüler*innen angepasst werden müssen.[6]

Tiemann (2013) spricht in diesem Zusammenhang von einem „6+1 Modell eines adaptiven Sportunterrichts”[7], welches die zentralen Modifikationen sechs Feldern der Adaption zuordnet: 

-       Materialien: Materialien reflektiert auswählen und möglicherweise deren Funktion in Bezug auf individuelle Person umändern und deren Fertigkeiten anpassen.

-       Lernumfeld: Welche Settings sind sinnvoll, welche weniger? /auf welche Raumeigenschaften muss speziell geachtet werden?

-       Regeln: Regelveränderungen können sinnvoll sein, müssen aber zuvor genau reflektiert werden. Welche Regeländerungen können behinderte Schüler*innen unterstützen? Welche wirken stigmatisierend?

-       Aufgabenstellung: Wie können geschlossene Aufgabenstellungen differenziert werden, damit unterschiedliche Lösungswege möglich sind?

-       Sozialform: Welche Sozialform macht in Bezug auf die Schüler*innen Sinn? 

-       Kommunikation: Wie muss die Kommunikation modifiziert werden, damit alle Schüler*innen die Inhalte verstehen können?


 Habt ihr Ideen, wie die sechs Felder der Adaptation in die Praxis umgesetzt werden können?

 

Neben diesen sechs Feldern der Adaption muss die Lehrkraft die Bereitschaft aufbringen, Vielfältigkeit bewusst wahrzunehmen und immer wieder aufs Neue zu prüfen, ob das adaptive Sportangebot zu den Bedürfnissen der Schüler*innen passt. Diese Reflexion kann zu neuen Anpassungen und Weiterentwicklungen der sechs aufgeführten Felder führen.[8]           

Außerdem sollte eine Lehrkraft Schüler*innen dazu befähigen, ihren eigenen Alltag bewegungsorientiert zu gestalten. Voraussetzung dafür ist der Spaß an Bewegung.

Abbildung 2: https://www.mobilesport.ch/aktuell/monatsthema-8-2019-inklusion-im-sport-in-der-schule-eine-einfuehrung/
Abbildung 2: https://www.mobilesport.ch/aktuell/monatsthema-8-2019-inklusion-im-sport-in-der-schule-eine-einfuehrung/

 

Grenzen von Bildungsinstitutionen an allgemeinbildenden Schulen

Im Sport allgemein dominiert der Leistungsgedanke. Dieser prägt auch den Sportunterricht in der Schule. Aus sportpädagogischer Sicht sollen Differenzierung und Individualisierung zentrale Aufgaben im Sportunterricht sein, jedoch gelten Leistungssituationen ebenso als wichtig.[9]

 

Ist es eurer Meinung nach überhaupt möglich, in Leistungssituationen differenziert und individualisiert zu arbeiten, wenn es am Ende darum geht, eine bestimmte Fertigkeit zu besitzen und eine gewisse Leistung erbringen zu können?

 

Allein durch eine Fokussierung im Sportunterricht auf bestimmte Sportarten, welche ein diszipliniertes Üben voraussetzen, das mit einer gewissen körperlichen Leistung verbunden ist, wird die Problematik der Individualisierung deutlich.[10]

Forderungen eines inklusiven Sportunterrichts beziehen sich auf veränderte Wettkampfsituationen, bei denen alle Kinder mit ihren unterschiedlichen Voraussetzungen ähnliche Chancen für eine Teilnahme bei Wettkampfsituationen haben. Dies bedeutet, dass „[…] äußere Differenzierungen aufgehoben werden und es infolgedessen zu einer Auflösung oder zumindest Adaptierung der klassischen Wettkampfidee kommt.“[11]

Die Frage ist folglich, wie Lehrkräfte Leistungen bemessen, da eine Notengebung in der Schule zentral ist und den weiteren Werdegang bestimmt. In den kompetenzorientierten Sportlehrplänen können Lehrkräfte dazu Hilfestellung finden. Diese sind jedoch stark von einer Fertigkeitsorientierung geprägt, wodurch eine individuelle Zielfestlegung problematisch wird, da es darum geht, wie gut die bestimmte Fertigkeit ausgebildet ist.[12] Zusammenfassend kann somit abschließend gesagt werden, dass die Sportdidaktik durch die Forderungen der Inklusion umstrukturiert werden muss, aber dennoch immer mehr eine Offenheit für inklusiven Sportunterricht festzustellen ist.[13]



Welche weiteren Herausforderungen bei einem inklusiven Sportunterricht seht ihr?

 

Zum Abschluss haben wir einen Link zu einem dreiteiligen Kurzfilm eingefügt, der von einem Lehrer handelt, der einen körperbeeinträchtigten Jungen in seinen Sportunterricht integriert hat. Er erzählt von Herausforderungen und Kooperationen sowie von der Herausforderung der Leistungsbemessung.

Teil 1: Sport und Inklusion: Ein Schüler mit Behinderung in der Sportklasse (Teil 1) - YouTube  (https://www.youtube.com/watch?v=-bGQHgR6WCw)

Teil 2: Sport und Inklusion: Ein Schüler mit Behinderung in der Sportklasse (Teil 2) - YouTube  (https://www.youtube.com/watch?v=-XmBZDbPQgY)

Teil 3: Sport und Inklusion: Ein Schüler mit Behinderung in der Sportklasse (Teil 3) - YouTube (https://www.youtube.com/watch?v=tH4uoTmpsaQ)

 

 

Mehr Informationen zum Thema, sowie erfolgreiche Umsetzungsversuche von gelungener Inklusion im Sportunterricht, findet ihr hier😊:

-        https://www.lebenshilfe.de/informieren/freie-zeit/thema-sport

-        https://instagram.com/spielerpass?utm_medium=copy_link

- https://www.zeit.de/sport/2012-08/paralympics-inklusion-london-behindertensport?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F

 

 

Habt ihr noch mehr Interesse? Dann könnt ihr gerne noch Studien/ Bücher zum Thema anschauen 😊:

-        https://www.allianz.com/content/dam/onemarketing/azcom/Allianz_com/migration/media/press/document/other/1208-Studie-Behindertensport_FINAL.pdf

-        https://www.vollwertsport.de/shop/extern/buch-inklusion-im-sport/

-        https://cdn.dosb.de/user_upload/Inklusion-sport.de/Bilder/Sport-Inklusionsmanager/Handbuch-Inklusion-im-Sport_final_Endversion_18122018.pdf

-        Fragt doch mal uns! Potenziale und Herausforderungen im inklusiven Sportunterricht aus Schülerperspektive. Ruin, Sebastian; Meier, Stefan. Leipziger Sportwissenschaftliche Beiträge: Jahrgang 59 (2018). Heft 1, S.67-87.


Literaturverzeichnis:

-       Fediuk, Friedhold (2008): Inklusion als bewegungspädagogische Aufgabe: Menschen mit und ohne Behinderungen gemeinsam im Sport. Baltmannsweiler : Schneider-Verl.

-       Giese, Martin; Weigelt, Linda (2015): INKLUSIVER SPORTUNTERRICHT IN THEORIE UND PRAXIS. Edition Schulsport. Aachen: Meyer & Meyer Verlag.

-       Haveman, Meindert; Stöppler, Reinhilde (2014): Gesundheit und Krankheit bei Menschen mit geistiger Behinderung. Handbuch für eine inklusive medizinisch-pädagogische Begleitung. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer.

-       Römisch, Kathrin (Hrsg.); Walther, Kerstin (2019): Gesundheit inklusive: Gesundheitsförderung in der Behindertenarbeit. Wiesbaden: Springer VS.

-       Ruin, Sebastian (Hrsg.); Meier, Stefan (2015): Schulsportforschung- Inklusion als Herausforderung. Aufgabe und Chance für den Schulsport. Band 6. Berlin: Logos Verlag Berlin GmbH.

-       Schober, Hannah (2021): Chancengerechter Sportunterricht. Wie Inklusion Sportunterricht für alle Schüler*innen möglich macht. Graz.

Quellenverzeichnis:       - - https://www.allianz.com/content/dam/onemarketing/azcom/Allianz_com/migration/media/press/document/other/1208-Studie-Behindertensport_FINAL.pdf [abgerufen am 27.11.2021].



[1] Vgl. Walther, K., Römisch, K. (2019), S. 3.

[2] https://www.allianz.com [abgerufen am 27.11.2021].

[3] Haveman, M., Stöppler, R. (2015), S. 272.

[4] Vgl. Fediuk, F. (2008), S. 211.

[5] Ruin S. (Hrsg.); Meier, S. (2015), S. 55f.

[7] Ruin S. (Hrsg.); Meier, S. (2015), S.61

[8] Vgl. Ruin S. (Hrsg.); Meier, S. (2015), S. 62f.

[9] Vgl. Giese, M., Weigelt L. (2015), S.80

[10] Vgl. Schober H. (2021), S.42f.

[11] Schober H. (2021), S.48

[12] Vgl. Schober H. (2021), S.44ff.

[13] Vgl. Schober, H. (2021). S.44 

2 Kommentare:

  1. Hallo ihr drei,
    Vielen Dank für euren Blogbeitrag, der mich dazu bewegt hat, über Inklusion im Sport genauer nachzudenken. Wie ihr schon thematisiert habt, ist Sport häufig mit einem Leistungsgedanken verbunden. Ich finde aber, dass vor allem im Freizeitsport auch der Spaß im Vordergrund stehen sollte. Hat man mehr den Spaß als die Leistung im Blick, lässt sich Inklusion einfacher denken. Natürlichen müssen auch hier eventuell Regeländerungen vorgenommen oder über Hilfsmaterialen nachgedacht werden.
    Eine spontane Idee von mir war auch, alle Kinder mit einem Handicap zu versehen. Sind
    beispielsweise einzelne Kinder auf einen Rollstuhl zur Fortbewegung angewiesen und alle möchten gemeinsam Basketball spielen, könnten alle Kinder gemeinsam Rollstuhl-Basketball spielen. So würde auch der Leistungsgedanke nicht verloren gehen und alle können mit gleichen Chancen um den Sieg kämpfen.
    Liebe Grüße Elena

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  2. Liebe Elena,
    Wir finden deine Idee sehr gelungen, da auf diese Weise der Blickwinkel geändert wird und Schüler*innen ein Verständnis dafür entwickeln, welche Barrieren im Sportunterricht mit Handycap entstehen. Wenn dieses Angebot gut bei den Schüler*innen ankommt, kann auch ein klassenübergreifendes Angebot in der Schule umgesetzt werden, bei dem alle Schüler*innen die Möglichkeit haben sich beispielsweise die Augen zu verbinden oder in einem Rollstuhl durch das Schulhaus zu fahren. Auf diese Weise entsteht eine Sensibilität für Schüler*innen mit bestimmten Einschränkungen und die Offenheit und Hilfsbereitschaft innerhalb der Schule kann gefördert werden.

    Vielleicht hast du dir die Videos auch angeschaut und findest dort mögliche Ansatzpunkte oder mögliche Herausforderungen die sich in diesem Kontext ergeben könnten.


    Liebe Grüße Benita, Matthias und Verena

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