Dienstag, 11. Januar 2022

Kieferorthopädie- mehr als nur gerade Zähne?

 

Kieferorthopädie- mehr als nur gerade Zähne?

CMD - Wie der Kiefer unseren ganzen Körper beeinflusst

 

Bei einer CMD-Erkrankung (Craniomandibuläre Dysfunktion) handelt es sich um eine Funktionsstörung des Kausystems, es wird als ein Missverhältnis zwischen dem Schädel (Cranium) und dem Unterkiefer (Mandibula) beschrieben.[1] Durch ein gestörtes Zusammenspiel der Zähne im Ober- und Unterkiefer kommt es zu einer fehlerhaften Bisslage. Dies führt zwangsläufig dazu, dass die Kiefergelenke in eine unphysiologische Lage gebracht werden. Etwa 20 % der Bevölkerung sind von behandlungsbedürftigen CMD-Symptomen betroffen. Die Gesellschaft für Zahngesundheit, Funktion und Ästhetik (GZFA) hat bei einer internen Erhebung festgestellt, dass vor allem Frauen über 18 Jahren unter schmerzhaften Symptomen leiden. Von 100 erfassten Patientenfällen gaben 79,2 % der Frauen an unter schmerzhafte Symptome zu leiden, bei den Männern im gleichen Alter sind es nur 40,6%. [2]

 

Symptome

Da eine Craniomandibuläre Dysfunktion oft als funktionelle Störung im Kausystem betitelt wird, denken viele Menschen, dass sich die Beschwerden dieser Störung ausschließlich auf den Kieferbereich beschränken. Allerdings liegt genau hier das Problem. Die möglichen Symptome einer CMD sind so vielseitig und über den ganzen Bewegungsapparat verteilt, dass eine exakte Diagnose sehr erschwert wird. Die Symptome reichen dabei von Kopfschmerzen über Tinnitus, bis zu Rücken- und Knieproblemen. Oft leben Menschen über mehrere Jahre mit ihrem körperlichen Leiden, da es aufgrund falscher Diagnosen und Beratung zu fehlerhaften Therapiemethoden kommt, wobei die Ursache der CMD gar nicht in Erwägung gezogen wird. Dies wirkt sich natürlich negativ auf die physische und psychische Gesundheit der Betroffenen aus.

Bei der Ausbildung einer CMD wird zwischen einer absteigenden und einer aufsteigenden Symptomatik unterschieden.[3] Die absteigende Symptomatik hat ihren Ursprung im Schädelbereich. Hierbei wird die CMD beispielsweise durch eine Zahnfehlstellung hervorgerufen, wobei sie sich absteigend auf den gesamten Körper auswirken und weitere Beschwerden wie Bandscheibenprobleme und Hüftschmerzen auslösen kann. Die Ursache der CMD einer aufsteigenden Dysfunktion, liegt allerdings im unteren Körperbereich. In diesem Fall wirken sich unter anderem Beckenschiefstände oder Wirbelsäulenkrümmungen aufsteigend auf den restlichen Körper aus und rufen zum Beispiel Migräne sowie Kiefergelenkschmerzen hervor.

Die naheliegendsten Beschwerden einer CMD manifestieren sich im Mund- und Kieferbereich. Hierbei kann es im Gebiss zu Zähneknirschen (Bruxismus), Zahnlockerungen oder Zahnwanderungen kommen. Teilweise ist es auch möglich, dass die Zahnhälse empfindlicher werden oder sogar ein Taubheitsgefühl im Mund auftritt. Außerdem klagen Betroffene häufig über Kiefergelenkschmerzen und ein Knacken oder Knirschen, welches sie beim Kauen oder Gähnen im Kiefer hören können.[4] Es ist auch möglich, dass sich der Mund nicht mehr richtig öffnen und schließen lässt oder Schluckbeschwerden auftreten. Allerdings beschränken sich diese Symptome nicht nur auf den Kieferbereich, sondern strahlen, wie bereits oben erwähnt, in den gesamten Körper aus. Weitere Beschwerden, die durch eine CMD auftreten können, sind beispielsweise Sehstörungen und Lichtempfindlichkeit oder auch Ohrenschmerzen, Hörminderung bis hin zur Ausbildung eines Tinnitus. Ein stetiger Druck auf den Kopf, sowie Kopfschmerzen und Migräne sind ebenfalls bekannte Begleiter einer CMD. Im Bereich des Nackens zeichnet sich die Fehlfunktion durch Schmerzen, Verspannungen und Steifigkeit aus. Auch die Schultern und der Rücken sind oft von diesen Symptomen betroffen, welche sich bis hin zum Becken und den Knien erstrecken können. Dabei kann es zu Bandscheibenproblemen, einer Wirbelsäulenkrümmung oder einem Beckenschiefstand kommen. Sollten die unteren Gliedmaßen auch betroffen sein, äußert sich dies durch Knieschmerzen, Schmerzen beim gehen oder in Extremfällen durch die Entwicklung unterschiedlicher Beinlängen.[5] Zum Schluss sollte noch das Augenmerk auf die Beschwerden gelegt werden, welche im Körper, der Seele und der Psyche entstehen. Diese äußern sich zum Teil durch Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen oder Appetitlosigkeit. Natürlich sind diese und noch einige weitere Symptome nicht ausschlaggebend und typisch für eine Craniomandibuläre Dysfunktion, sollten allerdings mehrere dieser Anzeichen bei einer Person auftreten, ist eine CMD nicht auszuschließen.

 

Abbildung 1

 

Der Kiefer und das Kiefergelenk unterstützen den Organismus bei vielen Aufgaben. Das Kiefergelenk ist an der Sprachbildung, am Beißen, Kauen und Schlucken beteiligt. Außerdem steht es in enger funktionaler und energetischer Beziehung zum Becken.

Durch das Kiefergelenk ziehen so viele Nervenbahnen wie nirgends sonst im Körper. Wenn man den Kiefer als neurovegetatives System betrachtet, lässt sich festhalten, dass der Kiefer das gesamte Organsystem des Körpers sowie dessen Statik beeinflusst. Das Kiefergelenk wird vom Nervus Trigeminus (V. Hirnnerv), dem größten Hirnnerv versorgt. Dieser steht als einziger in Verbindung zu allen anderen Hirnnerven. Da viele Schmerzfilter (Nozirezeptoren) im und um das Kiefergelenk herumsitzen, besitzt der Kiefer eine sehr wichtige Rolle in der Wahrnehmung und Verarbeitung von Schmerzen. Verspüren wir Gefühle wie Angst, Zorn, Wut oder ähnliches, unterdrücken wir diese oft durch das Zusammenpressen der Zähne. Auch von der Gesellschaft wird vermittelt, dass ein offen stehender Mund etwas negatives ist (fehlende Handlungsbereitschaft, Abwesenheit). Durch dieses Verhalten (zusammenbeißen der Zähne) ist die Kiefermuskulatur ununterbrochen angespannt.[6]

 

Aber was hat das nun mit der Kieferorthopädie zu tun und was ist die Kieferorthopädie überhaupt?

Kieferorthopädie ist die Lehre von der Erkennung, Verhütung und Behandlung von Zahnfehlstellungen und Kieferlage-Anomalien. Das alleinige Geraderichten von Zähnen bezeichnet man als Orthodontie.

Alle Abweichungen „vom normalen Gebiss“ werden als Dysgnathien bezeichnet. Diese Fehlstellungen werden in der Kieferorthopädie nach der Angle Klassifikation eingeteilt. Die häufigsten Fehlstellungen sind der Distalbiss (Klasse II) und der Mesialbiss (Klasse III) welcher auch als Progenie bezeichnet wird. Im Kindesalter tritt zudem häufig der Kreuzbiss auf. [7]

 


  Abbildung 2

 

 

 

                                                                                                                                                                               

       Abbildung 3


 

 

  

 

 

  

Abbildung 4

                                                                                        
 

 

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                           Abbildung 5

 

 

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                             

 

 

         

 Abbildung 6

 

Behandlung & Therapie

Das Therapiekonzept bei CMD ist genauso vielfältig wie seine Symptome. Grundlegend ist das Ziel der Behandlungen die Entspannung der Kaumuskulatur und die Reduktion der Schmerzen. Die bekannteste und am meisten genutzte Methode, um Zahnfehlstellungen und Fehlfunktionen zu korrigieren, ist die Behandlung mithilfe einer Aufbissschiene. Diese sogenannte Okklusionsschiene wird individuell auf das Gebiss des Patienten/ der Patientin abgepasst. Sie soll in erster Linie die Zähne vor Abrieb schützen, wirkt aber auch unterstützend bei der Realisierung der richtigen Bisslage.[8] Außerdem soll diese Schiene die Kiefergelenke entlasten und wieder aufrichten, sowie die Kiefermuskulatur entspannen. Anschließend lassen sich bei positiver Veränderung durch die Schiene, weitere kieferorthopädische Maßnahmen, wie das Einschleifen oder Rekonstruieren einzelner Zähne, einleiten.

 

 

                                                                         Abbildung 7

 

Häufig werden parallel zu der Schienentherapie die Beschwerden der CMD zusätzlich durch Physiotherapie behandelt. Je nach Schweregrad der Symptome und Anamnesebericht kann die Heilmethode aus verschiedenen Bereichen bestehen. Dazu zählen physikalische Therapien, wie Wärme- und Kältebehandlungen, Massagen und verschiedene Dehntechniken. Außerdem werden manuelle Therapien in Form von Gelenktechniken und in den letzten Jahren immer mehr Behandlungen mit dem Kinesio-Tape durchgeführt.[9] Dadurch lassen sich Verspannungen, die sich durch den gesamten Körper ziehen, lösen und Fehlstellungen korrigieren. Hierbei kann auch die Osteopathie eine wichtige Rolle spielen. Außerdem ist es möglich, die Behandlung, mithilfe von Entzündungshemmern, Schmerzmitteln und Muskelrelaxantien, medikamentös zu begleiten. Allerdings können diese die Therapie nur unterstützen. Sie ersetzen nicht die sorgfältige Ermittlung nach den Ursachen der Beschwerden.[10] Zusätzlich ist der Besuch eines Psychotherapeuten bei Depression und Persönlichkeitsstörungen empfehlenswert. Auch Akupunktur und Akupressur zur Verringerung von Schmerzen und der Verbesserung der psychischen Einflüsse können manchmal sehr hilfreich sein.[11] Darüber hinaus gibt es einige Übungen, die man beim Auftreten von Kieferbeschwerden oder anderen Schmerzen im Kopfbereich ohne spezielle Hilfsmittel selbstständig Zuhause durchführen kann. Dabei steht die Mobilisation, die Stabilisation und Dehnung im Kiefer-Kopf-Bereich im Vordergrund. Bei diesen Übungen liegt beispielsweise der Fokus darauf, durch das Massieren der Kaumuskulatur, Verspannungen zu lösen. Außerdem soll durch Bewegen des Unterkiefers, sowie Öffnen und Schließen des Mundes, die Beweglichkeit des Kiefers verbessert und die gezielte Ansteuerung der Muskeln trainiert werden.

 

Fazit:

Viele Menschen hatten selbst in ihrer Jugend eine Kieferorthopädische Behandlung und können sich vielleicht noch an die Veränderungen, die bezüglich ihres Bisses vorgenommen wurden, erinnern. Dabei werden teilweise große Bewegungen vorgenommen, welche für den Patienten als sehr schmerzhaft wahrgenommen werden. Kann es daher sein, dass eine Kieferorthopädische Behandlung eine CMD-Erkrankung auslösen kann? Viele Experten sind sich bis heute uneinig, in wie weit eine Kiefer- und Zahnfehlstellungen mit einer CMD-Erkrankung zusammenhängen. Es lässt sich aber festhalten, dass eine Kieferorthopädische Behandlung keine CMD-Erkrankung verursachen kann. Genauso kann Kieferorthopädie nicht als eine CMD-Prophylaxe angesehen werden kann.

Wieso kommt Kieferorthopädie aber in einer CMD- Therapie vor? Kieferorthopäden können das Wachstum des Kiefers lenken und okklusale Störungen vermeiden bzw. beseitigen. Dadurch kann eine CMD-Risikoreduzierung erreichen werden.[12]

 

 

 

 

 

 




 Literaturverzeichnis:

[1] GZFA. (05.12.2021) CMD CranioMandibuläre Dysfunktion: Zahn- und Kiefer Funktionsstörungen. https://www.gzfa.de/diagnostik-therapie/cmd-craniomandibulaere-dysfunktion/

[2]  GZFA. (05.12.2021) CMD: Zahlen zu Verbreitung und geschlechtsspezifischer Verteilung. https://www.gzfa.de/diagnostik-therapie/cmd-craniomandibulaere-dysfunktion/cmd-symptome/cmd-statistik/

[6] Heinz, S. (05.12.2021) Der Kiefer- und Zahbereich und sein Einfluss auf den gesamten Organismus. https://www.paracelsus.de/magazin/ausgabe/201205/der-kiefer-und-zahnbereich-und-sein-einfluss-auf-den-gesamten-organismus

[7] Dr. Carolin Wissel-Seith et al. (2021). Hilfeleistung bei der kieferorthopädischen Behandlung

[10] Behandlung (dgfdt.de) (Stand: 30.12.2021)

[12] Dr. Christian Köneke et al. (2011) 11.(Nord)Deutsches CMD-Curriculum 2011/2012 

 

Abbildungsverzeichnis:

Abbildung 1: https://image.jimcdn.com/app/cms/image/transf/none/path/s3dda3871ff9066c3/image/i8fc52c1894601f9c/version/1429898678/symptome-bei-typischen-cmd-beschwerden-cmd-craniomandibul%C3%A4re-dysfunktion-auf-unserer-seite-finden-sie-cmd-beschreibung-cmd-symptome-cmd-beschwerden-und-hilfe-durch-eine-cmd-schienentherapie-unter-einer-cmd-behandlung-versteht-susanne-pilsl.jpg

Abbildung 2-6: Dr. Carolin Wissel-Seith et al. (2021). Hilfeleistung bei der kieferorthopädischen Behandlung

Abbildung 7:https://www.infomedizin.de/bilder/News_Interviews/aufbissschiene.jpg

 

 

 

 

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