Blog-Beitrag von Simon Natterer
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Definition urbaner Legenden und wissenschaftlicher Mythos
1.2 Der Mythos „Bill Gates möchte die Menschheit zwangsimpfen und per Chip im Impfstoff überwachen“
2. Dem Mythos „Bill Gates und Corona“ auf der Spur
2.1 Struktur einer effektiven Widerlegung
2.2 Wie der Mythos entstanden ist
2.3 Netzvideos als Beweis für die Mikrochip-Theorie?
2.4 Zentrale Fakten zur Widerlegung des Mythos
3. Problemfelder und Tipps zum Umgang mit dem Mythos
3.1 Bumerang-Effekt des Vertrauten
3.2 Bumerang-Effekt der „Informationsüberladung“
3.3 Bumerang-Effekt der Weltanschauung
3.4 Alternative Erklärung anbieten
3.5 Neueste Forschungen zu den Bumerang-Effekten
4. Fazit
Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1. Einleitung
Ich starte meinen Beitrag mit mehreren Fragen:
Sterben Linkshänder früher?
Brauchen Frauen mehr Schlaf, weil ihr Gehirn intensiver arbeitet?
Kann mit Löwenzahnwurzel-Extrakt Krebs behandelt werden?
Diese Fragen haben eines gemeinsam. Es handelt sich hierbei um sog. „Urbane Mythen und Legenden“, „Großstadtlegenden“ oder „Moderne Sagen“. Sie wurden zwischen 2016 und 2017 in sozialen Medien und Online-Plattformen verbreitet (vgl. Schaal 2018, S. 2).
Auch in Bezug zu der aktuell vorherrschenden Corona-Situation sind wissenschaftliche Mythen in hohem Maße im Umlauf.
In diesem Beitrag werde ich einen wissenschaftlichen Mythos mit Bezug zur Corona-Situation behandeln. Dieser lautet: „Bill Gates möchte die Menschheit zwangsimpfen und per Chip im Impfstoff überwachen“.
Doch was ist überhaupt ein wissenschaftlicher Mythos? Wie geht man am besten mit so einem Mythos um? Wie kam es zu diesem Corona-Mythos? Welche Fakten sprechen dagegen? Und welche Problemfelder können beim Umgang mit dem Mythos dennoch auftreten?
Auf all diese Fragen werde ich im Folgenden eingehen.
1.1 Definition urbaner Legenden und wissenschaftlicher Mythos
Als „urbane Legenden“ werden mehr oder weniger skurrile Anekdoten bezeichnet. Diese Anekdoten werden auf informellem Weg (also mündlich, digital per E-Mail oder über soziale Netzwerke) verbreitet. In der Regel sind deren Quellen sehr schwer nachzuverfolgen. Die beiden Begriffe „Großstadtlegenden“ und „moderne Sagen“ können synonym für „urbane Legenden“ verwendet werden (vgl. Schaal 2018, S. 4).
Bei einem „wissenschaftlichen Mythos“ wird ein Sachverhalt u.a. durch eine verzerrte Wiedergabe von wissenschaftlichen Erkenntnissen, Übervereinfachungen oder Fehlinterpretationen fehlerhaft dargestellt. Auch eine schlechte Studienqualität, Verfahrensfehler oder gezielte Manipulationen sind Kennzeichen eines wissenschaftlichen Mythos. Ebenso handelt es sich bei vermeintlichen wissenschaftlichen Erkenntnissen oder Theorien, die dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit widersprechen, um wissenschaftliche Mythen. Diese Theorien werden oft als Para- oder Pseudowissenschaften bezeichnet. Ursprünglich handelt es sich bei einem Mythos um eine Erzählung von Menschen und Göttern. Jedoch findet die ursprüngliche Definition eines Mythos hier keine Anwendung. Wissenschaftliche Mythen werden dagegen als Teil urbaner Legenden angesehen (vgl. Schaal 2018, S. 4).
1.2 Der Mythos „Bill Gates möchte die Menschheit zwangsimpfen und per Chip im Impfstoff überwachen“
Der Mythos behauptet, dass Covid-19 in Wirklichkeit ein abgekartetes Spiel sei, mit dem Ziel, die Menschheit unter Gedankenkontrolle zu bekommen. Dies geschehe über Mikrochips, die während des Impfprozesses implantiert werden. Der Initiator, der den Auftrag für die Mikrochips in der Impfung gebe, sei Bill Gates.
Obwohl diese Behauptung sehr abwegig erscheint, glauben manche Leute daran. Doch warum ist das der Fall? Meist sprechen Menschen urbane Legenden und wissenschaftliche Mythen auch auf einer emotionalen Ebene an (vgl. Schaal 2018, S. 4 ff.). Bei der derzeit vorherrschenden Corona-Situation ist dies in hohem Maße der Fall, da viele Menschen u.a. mit Ängsten und Unsicherheiten zu kämpfen haben. Bill Gates ist dabei für Impfgegner ein sehr beliebtes Ziel und ein perfekter Katalysator für solch krude Theorien in Verbindung zur Corona-Impfung.
2. Dem Mythos „Bill Gates und Corona“ auf der Spur
2.1 Struktur einer effektiven Widerlegung
Insbesondere in der aktuellen Corona-Situation ist ersichtlich, dass immer wieder wissenschaftliche Mythen von Leuten erschaffen werden. Hat sich der wissenschaftliche Mythos bzw. die Falschinformation bereits durchgesetzt, ist die Widerlegung des Mythos ein wichtiger Aspekt. Jedoch kann auch das Widerlegen eines Mythos schwierig sein. Auch wenn Korrekturen den Glauben der Menschen an die falschen Informationen verringern können, so beeinflussen Falschinformationen oft auch weiterhin das Denken der Menschen (vgl. Lewandowsky u.a. 2021, S. 14).
Im Kommunikationshandbuch zum Covid-19-Impfstoff wird die Struktur einer effektiven Widerlegung näher erläutert (vgl. Lewandowsky u.a. 2021, S. 14).
Diese Struktur umfasst dabei folgende Komponenten:
Betonung von Fakten
Warnung vor der Falschinformation
Erklärung des Irrglaubens
Erneute Betonung von Fakten
Die Struktur einer effektiven Widerlegung ist in nachfolgender selbst erstellter Tabelle 1 abgebildet.
Tabelle 1: Struktur einer effektiven Widerlegung (vgl. Lewandowsky 2021 u.a., S. 14)
In diesem Blog-Beitrag werde ich mich ebenfalls auf diese Form der Widerlegung berufen. Insbesondere werden im Folgenden, nach der Wiederholung des Mythos, Fakten betont, aus welchen Gründen der Mythos irreführend ist.
Jedoch können aber auch Problemfelder beim Umgang mit dem Mythos entstehen. Auf diese Problemfelder wird in Kapitel 3 näher eingegangen.
2.2 Wie der Mythos entstanden ist
Nun begebe ich mich mit der folgenden Frage auf Spurensuche: Woher stammt der wissenschaftliche Mythos über das Mikrochip-Implantat im Impfstoff gegen Covid-19 von Bill Gates?
Der Name „Bill Gates“ ist für die Befürwörter dieses Mythos ein brauchbares Vehikel, da er sehr reich ist und schon viel Geld in die Entwicklung eines Impfstoffes steckte. Bill Gates hat mit der „Bill & Melinda Gates Foundation“ eine Privatstiftung gegründet, bei der er zum weltweit großzügigsten Spender für die Entwicklung von Impfstoffen gilt. Aus diesem Grund kennen sich seine Frau Melinda und er selbst mit Infektionskrankheiten sowie globalen Gesundheitsthemen sehr gut aus (vgl. Locker 2020, o.S.).
Der Gesundheitsmythos entstand dadurch, dass Bill Gates, sich am 18. März 2021 bei einem „Ask Me Anything“ (AMA) auf Reddit (also einer Frage- und Antwortrunde) zum damals noch sehr jungen Thema „Covid19“ stellte. Zu diesem Thema stellte Bill Gates die Prognose auf, dass alle Leute früher oder später einen digitalen Ausweis mit ihren Gesundheitsdaten herumtragen würden (vgl. Der Standard 2021, o.S.). Eine an für sich harmlose Aussage, die einen Zusammenhang der Impfung mit einem implantierten Chip nicht erschließen lässt.
Bill Gates hat also in seiner AMA-Antwort Mikrochips mit keinem Wort erwähnt. Jedoch schaffte es ein sog. Biohacking-Blog, diese Verbindung herzustellen. Einen Tag nach dem AMA tauchte nämlich ein Artikel auf, indem es hieß, dass Gates mit Mikrochip-Implantaten das Coronavirus bekämpfen wolle. Die Aussage von Gates über die digitalen Zertifikate brachte der Artikel in Verbindung mit einer Studie von 2019. Diese Studie wurde dabei von der „Bill & Melinda Foundation“ mitfinanziert (Locker 2020. o.S.).
Bei dieser Studie handelte es sich jedoch um eine gänzlich theoretische Pilotstudie, bei der u.a. das MIT (Massachusetts Institute of Technology) beteiligt war. Dabei wurde die Frage gestellt: „Könnte man mit einem Gerät, das den Impfstoff liefert, auch gleich einen smartphone-lesbaren Marker in die Haut setzen, der erkennt, ob ein Impfschutz besteht oder nicht?“ Dabei hat diese Frage seine Berechtigung, da die Buchführung über solche Immunitäten zumindest bis dato nur über die bekannten gelben Impfpässe lief. Diese winzigen Punkte aus unsichtbarer Tinte können aber keine Bewegungen tracken oder persönliche Daten abspeichern (Locker 2020, o.S.).
Jedoch stellt sich auch die Frage, wie sich der Mythos, dass Gates Geräte habe, um die Weltbevölkerung via Impfungen zu tracken, so hartnäckig hält. Die Anhänger des Mythos behaupten auch, dass Gates an einer Forschung beteiligt sei, die sich „Digitale Identität“ nenne. Dabei träume Gates von einem dezentralen Register mit Gesundheitsdaten. Die Daten könnten in einer Cloud gespeichert werden sowie von der ganzen Welt aus abrufbar sein. Über die sog. „Blockchain“ könnten die Daten abgesichert werden, wodurch sie fälschungssicher und nicht zu hacken wären. Jedoch kann hier kritisch angemerkt werden, dass die Technologie des „Blockchain“ noch lange nicht fertig für den Einsatz ist. Ebenso ist es fraglich, worin der Zusammenhang zwischen „Blockchain-Zertifikaten“ und Spritzen im Körper zu sehen ist. Nichtsdestotrotz schließen die Gegner von Bill Gates, worunter sich auch viele Trump-Anhänger befinden, aus diesen beiden völlig unterschiedlichen Konzepten: „Bill Gates möchte einen Überwachungsstaat durch das Impfen errichten!“ (vgl. Locker 2020, o.S.).
2.3 Netzvideos als Beweis für die Mikrochip-Theorie?
Des Weiteren wurden erste Netzvideos, vermehrt aus den USA, veröffentlicht, in denen die Mikrochip-Theorie bewiesen werde sollte. Dabei behaupten Menschen, die zuvor gegen Covid19 geimpft wurden, dass ihnen bei der Impfung ein Mikrochip implantiert wurde. Als Beweis halten sie sich einen Kühlschrankmagneten oder eine magnetische Münze an den Oberarm. Dabei wird in den Videos gezeigt, dass der Magnet oder die Münze an ihrer Haut kleben bleibt (vgl. Focus Online 2021, o.S.).
Die Frage, die nun aber lautet: Kann dies sein oder handelt es sich bei den Videos um einen sog. Fake?
Ein Experte, der sich mit der Thematik „Magnetismus“ auskennen sollte, ist Jürgen Lindner vom Helmholtz-Zentrum in Dresden-Rossendorf. Lindner leitet seit dem Jahre 2012 die Abteilung Magnetismus mit dem Forschungsschwerpunkt „magnetische Phänomene“ seit über 20 Jahren (vgl. Focus Online 2021, o.S.).
Dabei stellt Lindner klar, dass im Grunde alles magnetisch sei, das Elektronen enthalten würde. Dies gilt also auch für Menschen und Tiere. In diesem Kontext spricht man vom sog. Diamagnetismus. Jedoch handelt es sich gemäß dem Experten um einen extrem schwachen Effekt. Aus diesem Grund haftet ein Kühlschrankmagnet aufgrund des natürlichen Diamagnetismus nicht an einem Arm. Des Weiteren erläutert der Experte: „In den Videos sprechen die Menschen von einem starken magnetischen Effekt, den man als Ferromagnetismus bezeichnet. Dass ein ferromagnetischer Stoff in den Impfstoffen steckt, halte ich aber für ausgeschlossen.“ (vgl. Focus Online 2021, o.S.).
Die Theorie mit dem Chip hat des Weiteren einen Denkfehler. Mikrochips sind nämlich gar nicht magnetisch. Stattdessen bestehen sie aus Silizium, einem nicht-magnetischen Stoff. Aus diesem Grund stellt sich dieser Magnet-Test, der in den Sozialen Netzwerken als „Beweis“ von Personen für den Nachweis eines Mikrochips im Körper, veröffentlicht wurde, als falsch dar (vgl. Focus Online 2021, o.S.).
Die Frage, die man nun jedoch stellen kann, ist: Wieso kann es aber sein, dass in den Videos der Magnet oder die Münze am Arm haften bleibt?
Magnete können am Körper haften bleiben
Magnete oder auch Münzen können durch die sog. Adhäsion tatsächlich am Körper haften bleiben (vgl. Rosenberger 2021, o.S.). Dabei handelt es sich bei der sog. Adhäsion um die Anziehungskraft zwischen zwei unterschiedlichen Oberflächen (vgl. Focus Online 2021, o.S.). Bei der Adhäsion können also anziehende Kräfte zwischen den Teilchen verschiedener Körper wirken. So kann beispielsweise Kreide an Schultafeln haften bleiben. Ebenso beruht die Wirkungsweise von Klebestoffen auf der Adhäsion. Auch ist es möglich, dass ein Gegenstand, z.B. also auch ein Magnet, durch Schweiß, Fett sowie Öle auf der Hautoberfläche haften bleibt. Dies kann dabei an verschiedensten glatten Körperstellen funktionieren, jedoch hat dies mit Magnetismus überhaupt nichts zu tun (vgl. Rosenberger 2021, o.S.).
Auch ist es möglich, dass durch eine Körpercreme ein Geldstück oder ein Magnet an der zuvor eingecremten Stelle haften bleibt. Dabei halten Magnete oder andere Gegenstände umso besser je mehr der Arm aufgestützt wird, sodass ein schräger Winkel entsteht. Das Phänomen der Adhäsion ist hier ebenfalls verantwortlich dafür (vgl. Focus Online 2021, o.S.).
Ebenso ist ein vollkommen banaler Grund für das Haftenbleiben des Magneten am Arm möglich. Für das Haftenbleiben am Arm ist nur ein simples Klebeband notwendig, das an der Unterseite des Magneten angebracht ist. Dabei ist in den Videos auffällig, dass die Unterseite des Magneten nicht gezeigt wird (vgl. Focus Online 2021, o.S.).
2.4 Zentrale Fakten zur Widerlegung des Mythos
- Mikrochips sind zu groß für Covid-19-Spritzen
Dr. Patrick Kramer, der Gründer und Geschäftsführer der Biohacking-Plattform „digiwell“, ist sich ebenfalls sicher, dass mit einer Impfung nicht gleichzeitig ein Mikrochip eingepflanzt werden kann. Dass es sich bei Dr. Kramer um einen Experten handelt, ist dabei sehr wahrscheinlich, da er schon mehr als 3.500 Menschen in Deutschland ein Mikrochip-Implantat unter die Haut setzte. Die kleinsten Implantate sind dabei gemäß Dr. Kramer so groß wie ein Reiskorn. Somit müsste die Nadel, mit der das Implantat eingesetzt werden müsste, sehr groß sein. Eine Impfung gegen Covid-19, u.a. wird in den Muskel gesetzt, wohingegen das Mikrochip-Implantat unter die erste Hautschicht kommt. Von daher handelt es sich bei Impfung und Mikro-Implantat, gemäß dem Experten, um völlig andere Verfahren (Klühspies 2021, o.S.).
- Durchsichtige Spritzen beim Impfen
Die Spritzen beim Impfen sind durchsichtig. Aus diesem Grund müsste der darin enthaltene Mikrochip sehr klein sein. Er müsste so klein sein, dass er durch die Kanüle passt und dürfte aber auch gleichzeitig nicht mit bloßem Auge erkennbar sein. Dies ist jedoch beim aktuellen Stand der Technik nicht möglich (vgl. Rosenberger 2021, o.S.).
- Energieversorgung der Mikrochips fehlt
Des Weiteren besteht gemäß Kramer nicht die Möglichkeit, mit Mikrochip-Implantaten, die unter die Haut gesetzt werden, Menschen zu orten. Der Grund ist, dass es schlicht an einer Technologie fehle, die Mikrochips unter der Haut auf Dauer mit Energie versorgen könne (vgl. Klühspies 2021, o.S.).
Die derzeit präsenten Mikro-Implantaten sind dagegen sog. „passive Technologien“. Das bedeutet, dass sie nur funktionieren, wenn den Implantaten Strom zugeführt wird. Beispiele hierfür sind Mitarbeiterausweise oder Bezahlkarten. Diese funktionieren nur, wenn sie an ein aktives Lesegerät gehalten werden und somit einem Stromimpuls ausgesetzt sind. Gemäß Kramer sind die Mikrochip-Implantate jedoch nicht funktionsfähig, wenn kein Strom zugeführt wird. Somit ist eine dauerhafte Überwachung von Menschen per Mikrochips unter der Haut nicht möglich (vgl. Klühspies 2021, o.S.).
3. Problemfelder und Tipps zum Umgang mit dem Mythos
Cook und Lewandowsky gaben im Jahre 2011 in ihrem auf Deutsch erhältlichen Handbuch „Widerlegen, aber richtig“ eine sehr anschauliche Anweisung, wie mit wissenschaftlichen Mythen umzugehen ist. Dabei verwiesen sie auf mehrere Problemfelder mit dazugehörigen Tipps beim Umgang mit wissenschaftlichen Mythen (vgl. Cook & Lewandowsky 2011).
Dabei nannten die Autoren u.a. mehrere Bumerang-Effekte, nach denen Falschinformationen nicht ausgeräumt werden können, sondern sich in den Köpfen der Leute festsetzen (vgl. Cook & Lewandowsky 2011, S. 1).
Gemäß Lewandowsky liegt ein Bumerang-Effekt dann vor, wenn eine Korrektur unbeabsichtigt den Glauben an oder das Vertrauen in Falschinformationen im Vergleich zu einem Ausgangswert ohne oder vor einer Korrektur erhöht (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 9).
Es sind dabei verschiedene Bumerang-Effekte eingetreten, bei denen Gerüchte geläufiger wurden (3.1 Bumerang-Effekt des Vertrauten), zu viele Argumente aufgezählt wurden (3.2 Bumerang-Effekt der „Informationsüberladung“) oder Beweise vorgebracht wurden, die die Weltanschauung von Leuten ins Wanken gebracht haben (3.3 Bumerang-Effekt der Weltanschauung).
3.1 Bumerang-Effekt des Vertrauten
Beim Bumerang-Effekt des Vertrauten werden vertraute Informationen wahrheitsgetreuer empfunden als neuere Informationen. Dieses Phänomen wird als Scheinwahrheitseffekt bezeichnet. Eine Falschinformation wird zwangsläufig wiederholt, wenn sie widerlegt werden soll. Hier wird eine Gefahr darin vermutet, dass die Widerlegung der Falschinformation nicht zum gewünschten Ergebnis führt. Dadurch dass eine Falschinformation wiederholt wird, macht sie den Irrglauben vertrauter (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 10). Für diese Behauptung sprachen erste Studien, jedoch widerlegen neuere Studien den Bumerang-Effekt des Vertrauten. Eine Studie von Ecker, Hogan und Lewandowsky bestätigte, dass sich die Wiederholung einer Falschinformation, während sie widerlegt wird, als sehr sicher erwiesen und die Korrektur sogar noch wirkungsvoller gemacht hat (vgl. Ecker, Hogan & Lewandowsky 2017, S. 185).
Der Bumerang-Effekt des Vertrauten ist in nachfolgender kopierter Abbildung 1 genauer beschrieben und dargestellt (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 10).
Abbildung 1: Bumerang-Effekt des Vertrauten (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 10)
Bezogen auf den hier behandelten Corona-Mythos bedeutet dies, dass es durchaus Sinn macht den Mythos zu wiederholen, während dieser widerlegt wird. Die Korrektur wird dadurch sogar noch wirkungsvoller.
Auch im Kommunikationshandbuch zum Covid-19-Impfstoff wird, wie schon zuvor erläutert, bezüglich der effektiven Widerlegung darauf verwiesen, dass der Mythos wiederholt werden kann, wenn der Schwerpunkt darauf liegt, zu erklären, warum der Mythos irreführend ist (vgl. Lewandowsky u.a. 2021, S. 14).
3.2 Bumerang-Effekt der „Informationsüberladung“
Gemäß dem Bumerang-Effekt der „Informationsüberladung“ könnte hier die Angabe „zu vieler“ Gegenargumente gegen ein falsche Behauptung unbeabsichtigte Auswirkungen haben und sogar nach hinten losgehen (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 10). Dabei könnte hier ein einfaches Gerücht kognitiv attraktiver sein als eine verkomplizierte Korrektur. Dann wäre es ratsam, sich auf die Vermittlung der wichtigsten Argumente und Fakten zu konzentrieren (vgl. Schaal 2018, S. 5).
Der Bumerang-Effekt der „Informationsüberladung“ wurde in einer Studie direkt untersucht.
Jedoch wurden in dieser Studie keine Belege für diesen Bumerang-Effekt gefunden. Die Studie bestätigte stattdessen, dass bei einer größeren Anzahl relevanter Gegenargumente eine Reduzierung von Fehlüberzeugungen eher erreicht werden kann (vgl. Ecker u.a. 2019, S. 98).
Bezüglich dem hier behandelten Corona-Mythos kann es daher ebenso sinnvoll sein, mit möglichst vielen Gegenargumenten zu argumentieren. Dies wurde auch in diesem Beitrag von mir so gehandhabt. Jedoch verweisen Cook und Lewandowsky in ihrem Handbuch, dass zur Informationsüberladung auch die Schwierigkeit der verwendeten (Fach-) Sprache beitragen kann. Aus diesem Grund empfehlen sie, notwendige Erklärungen in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen (einfache, mittelschwere oder fortgeschrittene Sprache) wissenschaftlich begründen zu können (vgl. Cook & Lewandowsky 2011, S. 3).
3.3 Bumerang-Effekt der Weltanschauung
Der Bumerang-Effekt der Weltanschauung tritt dann ein, wenn durch eine Korrektur die Weltanschauung einer Person in Frage gestellt wird. Hierbei wird der Glauben an die Falschinformation sogar verstärkt (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 10). Es handelt hier um den wahrscheinlich gefährlichsten Bumerang-Effekt (vgl. Cook & Lewandowsky 2011, S. 4). Dieser Bumerang-Effekt kann insbesondere bei Personen auftreten, die in ihren Ansichten sehr verfestigt sind, weshalb das Treffen von Gegenargumenten dazu führen kann, dass sie ihre Ansichten noch verstärken (vgl. Schaal 2018, S. 5). Dies passiert dadurch, indem Informationen ausgewählt werden, die bereits bestehende Ansichten untermauern. In diesem Kontext wird auch von Bestätigungstendenz gesprochen (vgl. Cook & Lewandowsky 2011, S. 4).
Der Bumerang-Effekt der Weltanschauung konnte insbesondere in einer Dokumentation der Sendung „Kontraste“ in der ARD gesehen werden. Diese Dokumentation handelt von Leuten, die an Verschwörungstheorien bezüglich Corona glauben. Der Bumerang-Effekt wurde bei der Frührentnerin Petra Stark sichtbar, die daran glaubt, dass Metall im Impfstoff sei, das die Menschen steuerbar macht. Im Internet sei zu sehen gewesen, dass ein Metalldetektor bei Geimpften anschlagen würde. Der Detektor fand jedoch bei einer Versuchsperson keinen Beweis dafür. Jedoch glaubte die Frührentnerin Petra Stark weiter daran und behauptete, dass die Impfung bei der Versuchsperson schon zu lange her gewesen sei (vgl. ARD 2021, 07:13-08:33 Min).
Anfänglich gab es in Studien einige Belege für diesen Bumerang-Effekt (vgl. Nyhan & Reifler 2010, S. 303). Jedoch handelt es sich gemäß neuerer Forschung nicht um ein allgegenwärtiges und robustes empirisches Phänomen (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 10).
3.4 Alternative Erklärung anbieten
Wird einer der zuvor beschriebenen Bumerang-Effekte erfolgreich vermieden bzw. ein Mythos ausgeräumt, werden alternative Erklärungen benötigt. Die durch die Entlarvung eines Mythos entstandene Lücke soll durch eine korrekte Erläuterung bzw. Widerlegung geschlossen werden (vgl. Schaal 2018, S. 5). Bezüglich dem behandelten Corona-Mythos kann dies in Anlehnung an Cook und Lewandowsky (2011) dadurch erreicht werden, indem eine alternative ursächliche Erklärung geliefert wird, warum das Gerücht falsch ist. Auch ist es möglich, zu erläutern, warum das Gerücht überhaupt verbreitet wurde (vgl. Cook & Lewandowsky 2011, S. 6). Des Weiteren kann der Einfluss der Falschinformation weiter verringert werden, wenn die Zuverlässigkeit einer Quelle angezweifelt werden kann (vgl. Cook & Lewandowsky 2011, S. 5).
3.5 Neueste Forschungen zu den Bumerang-Effekten
Wissenschaftler und Praktiker waren insbesondere, wie im Handbuch von Cook und Lewandowsky aus dem Jahre 2011, in Sorge, dass Korrekturen nicht erfolgreich sind bzw. sogar „nach hinten losgehen“ könnten (vgl. Cook & Lewandowsky 2011). Das bedeutet, dass Wissenschaftler und Praktiker davon ausgingen, dass Korrekturen ironischerweise falsche Vorstellungen eher verstärken als reduzieren. Jedoch haben jüngste Forschungen gezeigt, dass diese Befürchtungen nicht eingetreten sind und zerstreut werden konnten. Die zuvor erläuterten Bumerang-Effekte treten nur gelegentlich auf. Des Weiteren ist das Risiko des Auftretens in den meisten Fällen geringer als einst angenommen. Das neueste Handbuch „Widerlegen, aber richtig“ von Lewandowsky u.a. (2020) regt daher an, dass Falschinformation widerlegt und korrigiert werden sollen. Es soll also nicht auf das Widerlegen verzichtet werden, aus Furcht, dass dies nach hinten losgehen oder den Glauben an Falschinformationen verstärken könnte (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 9).
Bumerang-Effekte werden als nicht mehr so häufig angesehen, wie man zuvor befürchtet hatte. Die Umstände, unter denen sie auftreten, können nicht zuverlässig vorhergesagt werden (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 9).
Insgesamt kann gesagt werden:
„Alles in allem bieten die jüngsten Erkenntnisse keinen Grund, Widerlegungen aus Angst vor einem Bumerang-Effekt zu vermeiden. Widerlegungen sollten zumindest teilweise wirksam sein, abgesehen von einigen wenigen Fällen, in denen die Weltanschauung der Menschen in Frage gestellt wird“ (Lewandowsky u.a. 2020, S. 11).
4. Fazit
Wissenschaftliche Mythen werden immer wieder im Umlauf gebraucht. Insbesondere auch in der derzeit vorherrschenden Corona-Situation ist dies sichtbar. Der Umgang mit solchen Mythen ist dabei ein wichtiger Faktor. Das Kommunikationshandbuch zum Covid-19-Impfstoff gibt einige Punkte zur effektiven Widerlegung des Mythos an. Dabei können bezüglich dem vorgestellten Mythos viele logische Argumente angeführt werden, die dagegen sprechen. In diesem Beitrag wurden u.a. die Gegenargumente „Mikrochips sind nicht magnetisch“, „Energieversorgung der Mikrochips fehlt“ sowie „Mikrochips sind zu groß für Covid-19-Spritzen“ genannt.
Jedoch können diverse Problemfelder, wie die drei genannten Bumerang-Effekte, auftreten. Insbesondere ist der „Bumerang-Effekt der Weltanschauung“ am schwierigsten aus den Köpfen der Leute zu bekommen. Dies konnte insbesondere bei der Dokumentation „Kontraste“ gesehen werden, als Frau Stark weiterhin an die Existenz des Mikrochips glaubte, obwohl sie ihn auch per Gerät nicht nachweisen konnte. Stattdessen führte sie andere Gründe an, weshalb das Gerät nicht angeschlagen hat, wie zum Beispiel, dass die Impfung bei der Versuchsperson bestimmt schon (zu) weit zurückliege (vgl. ARD 2021, 07:13-08:33 Min).
Diese Bumerang-Effekte konnten auch in Studien nachgewiesen werden, jedoch belegen neuere Studien, dass diese Effekte nicht so stark sind wie noch im Jahre 2011 (u.a. im Handbuch von Cook & Lewandowsky) angenommen wurde.
Von daher gilt auch insbesondere bei diesem vorgestellten Corona-Mythos „Bill Gates und der Mikrochip im Corona-Impfstoff“: Auf das Widerlegen sollte nicht verzichtet werden – erst recht nicht aus Furcht, dass es den Glauben an die Falschinformation verstärken könnte.
Quellenverzeichnis
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Lewandowsky, Stephan; Cook, John; Ecker, Ullrich, K.H.; Albarracín, Dolores; Amazeen, Michelle A.; Kendeou, Panayiota; Lombardi, Doug; Newman, Eryn J.; Pennycook, Gordon; Porter, Ethan; Rand, David G.; Rapp, David N.; Reifler, Jason; Roozenbeek, Jon; Schmid, Philipp; Seifert, Colleen M.; Sinatra, Gale M.; Swire-Thompson, Briony; van der Linden, Sander; Vraga, Emily K.; Wood, Thomas J.; Zaragoza, Maria S. (2020): The Debunking Handbook 2020. Ins Deutsche übersetzt von Bärbel Winkler & Timo Lubitz. doi:10.17910/b7.1182. URL: https://sks.to/db2020, aufgerufen am 23.01.2022.
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Rosenberger, Christina (2021): Magnetische Einstichstelle? Absurde Verschwörungstheorie zu Corona-Impfung. URL: https://www.echo24.de/baden-wuerttemberg/corona-impfung-einstichstelle-magnet-covid-19-microchip-nanochip-verschwoerungstheorie-beweisvideo-90653819.html, aufgerufen am 08.01.2022.
Schaal, Steffen (2018): Faszination: Mythos – Konzept zum Aufbau eines kritischen Wissenschaftsverständnisses. Unterricht Biologie. Zeitschrift für die Sekundarstufe, 42 (431), S. 2-10.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bumerang-Effekt des Vertrauten (vgl. Lewandowsky u.a. 2020, S. 10)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Struktur einer effektiven Widerlegung (vgl. Lewandowsky u.a. 2021, S. 14)
Hey Simon,
AntwortenLöschenMutiges und aktuelles Thema hast du dir da rausgesucht. Ich bin total bei dir und finde es wirklich gut, dass du die getrau hast einen doch so heiklen Mythos zu verfassen.
Ich finde du hast den Nagel auf den Kopf getroffen, du hast den Mythos erläutert, du hast ihn als Falsch enttarnt und du hast geschildert wie es denn dazu überhaupt kam, dass dieser Mythos sich weltweit verbreitet hat und sich bis heute hält.
Am besten wäre es du stellst deinen Blogbeitrag ins Internet, es sollte eigentlich eine weite Reichweite erreichen und es sollten sie die Menschen aufmerksam durchlesen, die solch einen Bullshit glauben.
Ich persönlich kann nicht nachvollziehen wer auf solch einen Mythos kam und wie Menchen an so etwas glauben können. Wenn sie verunsichert sind über die Situation (und ich glaube das waren wir alle mal zu einem gewissen Zeitpunkt der Pandemie) sollte man sich Fakten auf seriösen Seiten suchen!
Dein Blogbeitrag finde ich der aktuellen Situation sehr gut angepasst und wirklich sehr mutig. Viele Menschen haben sie durch Corona verändert (meine Meinung!!!), meinst du es wird sich auch wieder umkehren in Zukunft oder meinst du es "hinterlässt für immer bleibende Schäden?"
LG Lena-Marie Block
Hey Lena-Marie, vielen Dank für deine Nachricht sowie das positive Feedback. Ja, das stimmt - Themen über Corona sind derzeit in aller Munde & regen sehr zum Diskutieren an. Auch bezüglich der Corona-Mythen über Bill Gates, u.a. ist es auffällig, dass manche Leute trotz diverser Gegenargumente daran glauben. Es ist meiner Meinung nach auffällig, dass sich der Glauben an solche Mythen seit der Corona-Situation verstärkt hat, da die derzeitige Situation sehr stark polarisiert. Ich denke, es wird zukünftig sehr schwierig werden dies umzukehren & bleibende Schäden sind leider nicht ausgeschlossen.
AntwortenLöschenLG Simon Natterer